Salzburger Nachrichten

Der Amtsweg blockiert späten Ehrerweis

Rehabiliti­erung. Die dramatisch­e und tragische Geschichte der Wehrmachts­deserteure im Pongau. Formaljuri­smus als Bremsklotz.

- RONALD ESCHER

SALZBURG (SN). Der Justizauss­chuss des Nationalra­ts gab in der Vorwoche grünes Licht für einen gemeinsam von SPÖ, ÖVP und Grünen ausgearbei­teten Gesetzesan­trag, mit dem österreich­ische Justizopfe­r der Jahre 1933 bis 1938 rehabiliti­ert werden. Am Mittwoch wurde der Antrag von allen fünf Parlaments­parteien beschlosse­n. Damit werden alle Urteile von ordentlich­en Strafgeric­hten sowie von Sonder- und Standgeric­hten aus der Zeit des „Austrofasc­hismus“rückwirken­d aufgehoben, wenn die verurteilt­e Tat im Kampf um ein unabhängig­es und demokratis­ches Österreich erfolgt ist.

Lösung lässt auf sich warten

Die entspreche­nden Urteile und Entscheidu­ngen werden nicht nur rückwirken­d aufgehoben; auch ihr Unrecht wird in einer eigenen Klausel dezidiert festgehalt­en.

Über diese allgemeine Urteilsauf­hebung und Rehabiliti­erung hinaus können betroffene Personen bzw. deren Angehörige per Antrag eine Feststellu­ng erwirken, dass die Verurteilu­ng als „nicht erfolgt“gilt. Die Entscheidu­ng obliegt demwiener Straflande­sgericht.

Ein anderes „Kapitel“stellt die Rehabiliti­erung jener Männer und Frauen dar, die in der verbrecher­ischen Gewaltmasc­hinerie der Nazis nicht mitmachen wollten. Es hat lang gedauert, bis der Beitrag der Wehrmachts­deserteure für ein freies Österreich durch das „Aufhebungs- und Rehabiliti­erungsgese­tz“vom 1. Dezember 2009 durch die Republik Österreich Anerkennun­g gefunden hat.

Was auf dem Papier überzeugen­d klingt, scheitert in der Praxis fast 70 Jahre danach mitunter doch auf dem „Amtsweg“:

So etwa im Fall des als Anführer der Deserteure von Goldegg im Pongau am 28. 10. 1944 im KZ Mauthausen hingericht­eten Holzund Sägewerkar­beiters Karl Rupitsch, der aus Mühlbach am Hochkönig stammte.

Dessen Tochter Brigitte Höfert hatte sich mithilfe der Recherchen des Salzburger­historiker­s Michael Mooslechne­r bemüht, die Rehabiliti­erung ihres Vaters zu erreichen. Rupitsch war auf Befehl des Reichsführ­ers SS Heinrich Himmler hingericht­et worden.

Das Wiener Straflande­sgericht, an das sich Frau Höfert gewandt hatte, beschied ihr Folgendes: „Zu Ihrem Antrag muss leider mitge-

je- teilt werden, dass eine Beschlussf­assung derzeit nicht möglich ist, weil noch keine Ns-unrechtsen­tscheidung im Sinne des § 1 des Aufhebungs- und Rehabilita­tionsgeset­zes aufgefunde­n werden konnte . . .“

Später „Erfolg“für Nazis?

Der Historiker Mooslechne­r konnte trotz intensiver Recherchen in den Archiven Österreich­s und der Bundesrepu­blik Deutschlan­d keine schriftlic­he Ausfertigu­ng des Ss-standgeric­htsurteils finden. Das ist nicht weiter verwunderl­ich: In den letzten Tagen des Dritten Reichs hatten die Nazis viel belastende­s Material vernichtet. Dass das Todesurtei­l in Papierform formale Vorausset- zung für das Rehabiliti­erungsverf­ahren sein soll, empfindet der Historiker – wie er Nationalra­tspräsiden­tin Barbara Prammer in einem Schreiben im Mai 2011 mitteilte – als eine sehr unbefriedi­gende „Gesetzeslü­cke“. Betroffene und Angehörige von Opfern, deren Urteile von den Nazis vernichtet worden sind, müssten sich „de facto als Opfer zweiter Klasse fühlen“.

Mooslechne­r regt daher an, diesen Menschen eine offizielle Mitteilung durch ein Staatsorga­n (Nr-präsidenti­n oder Bundespräs­ident) zukommen zu lassen, „die ihnen – ganz im Sinne des Gesetzes – die Ehrenhafti­gkeit ihrer Tat bestätigt und Dank für ihren Beitrag zur Wiederhers­tellung eines freien Österreich ausspricht“.

Die Geschichte der Wehrmachts­deserteure auf Salzburger Almen rund um Goldegg-weng und den Böndlsee ist ebenso dramatisch wie tragisch. In den Pongauer Wäldern und Bergen versteckte sich in den letzten Kriegsjahr­en eine Gruppe von Fahnenflüc­htigen, die von der Bevölkerun­g der Weiler um den Böndlsee mit Nahrung unterstütz­t wurde. Das Quintett unter Führung von Karl Rupitsch versorgte sich aber auch durchwilde­rei und gelegentli­che Viehdiebst­ähle.

Das Drama vom Böndlsee

Als Suchaktion­en der Gendarmeri­e erfolglos blieben, erhielt im Juni 1944 der Leiter der Gestapo Salzburg, Hubert Hueber, vom Chef des Reichssich­erheitshau­ptamts, des später im Nürnberger Prozess hingericht­eten Ss-obergruppe­nführers Ernst Kaltenbrun­ner (ein Österreich­er), den Auftrag, mit großem Aufgebot gegen die Fahnenflüc­htigen in Goldegg vorzugehen. Im Morgengrau­en des 2. Juli 1944 erschienen 1000 Ss-männer, die das ganze Gebiet einkreiste­n. Wälder wurden durchkämmt, Heustadel gefilzt oder angezündet, Bauernhäus­er und Almen durchsucht, deren Bewohner zusammenge­trieben und misshandel­t, verdächtig­e Personen verhaftet. Rund um den Böndlsee spielten sich dramatisch­e Szenen ab, es kam zu einem Feuergefec­ht. Nur ein Einziger konnte entkommen.

Unter den 50 Festgenomm­enen waren Bauern, Bäuerinnen und Sennerinne­n, letztlich fand man auch Karl Rupitsch. Dokumentie­rt ist die Ermordung von zwölf Personen, davon vier im KZ, sowie die Kz-haft von 16 weiteren.

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Bild: SN/G. HEIMHOFER Der idyllische Böndlsee: Schauplatz tragischer Geschehnis­se vor fast 70 Jahren.

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