Ostern – ein Tag aus der anderenwelt
Frankfurt am Main, kurz vor Ostern. Auf der Bühne am Schauspiel wird „Der Kaufmann von Venedig“gegeben. In einem langenmonolog geißelt Martin Luther die Wucherer und lobt die Christen, die ihr Geld nicht zurückfordern, sondern die Schuld erlassen, wenn der Schuldner klamm ist.
Da geht ein Raunen durch die Frankfurter Theaterbesucher. Sie wissen, dass es draußen vor der Tür ganz anders zugeht. Da sind es nur wenige Schritte zum Hochhaus der Europäischen Zentralbank (EZB), wo das Geld die Welt regiert. Nur einige unermüdliche Kämpfer der Occupy-bewegung halten in ihrer kleinen bunten Zeltstadt den Protest hoch: „Ihr spekuliert mit unserem Geld!“
Härter könnten die Gegensätze nicht sein zwischen christlichem Ideal und der rauen Wirklichkeit. Unwillkürlich stellt sich die Frage, ob das Christentum noch taugt als Gegenentwurf, als alternatives Gesellschaftsmodell, als unüberhörbare sozialkritische Ansage gegen das Credo der Spekulanten.
Papst Johannes Paul II. (1978– 2005) hatte einiges zum Sturz des Kommunismus beigetragen. Doch der Kapitalismus, den der polnische Papst oft gleichzeitig angeprangert hat, feiert fröhliche Urständ. Die Politik ist zu schwach, und die Kirche ist nicht am Ball.
Der bislang letzte Sozialhirtenbrief der katholischen Bischöfe Österreichs ist 1990 erschienen. Das Sozialwort der christlichen Kirchen folgte 2003. Heute sind die Propheten zu leise, die die einzig humane Rangordnung einfordern: Das Kapital ist für denmenschen da, nicht umgekehrt.
Gewiss, Benedikt XVI. hat 2009 „die schädlichen Auswirkungen einer schlecht eingesetzten und darüber hinaus spekulativen Finanzaktivität auf die Realwirtschaft“kritisiert. Aber dieser Satz in der Sozialenzyklika „Caritas in veritate“war in theologische Watte gehüllt. Er blieb ohne Folgen.
Aufhorchen ließ der Papst, als er im September 2011 in Deutschland die Verweltlichung der Kirche kritisierte. Seine ernste Mahnung, auf Privilegien zu verzichten, hat so manchen Kirchenmann erschreckt. Da blitzte sie kurz auf, die Botschaft von dem Jesus, der sich nicht mit den Eliten seiner Zeit arrangiert hat. Der heute bei den Occupy-protestierern vor der EZB stehen würde. Der Jesus, der sagt: Bei euch soll es anders sein, ihr seid aus einer anderenwelt.
Ostern ist ein Tag aus dieser anderenwelt, in der Jesus fordert, wenn dir einer auf die Backe schlägt, halte auch die andere hin. Ostern ist ein Tag aus dieser anderen Welt, in der nicht das zählt, was alle tun. Ostern ist ein Tag aus dieser anderen Welt, in der die Herren Reißaus nahmen und Frauen die ersten Zeuginnen der Auferstehung wurden.
Das Christentum in Europa kommt wie eine Religion light daher, der es am inneren Osterfeuer fehlt. Es lässt sich zu wenig anrühren von diesem Jesus, der immer bei denen da unten war. Es greift nicht nach ihm, vor allem nicht nach seinen Wundmalen, so wie es Maria Magdalena auf dem Ostergemälde 2012 des Salzburger Künstlers Johann Weyringer tut. Maria hat bei Jesus ausgeharrt, als er am Kreuz hing. So fand sie zu dem Glauben, dass der Karfreitag nicht der Anfang vom Ende war, sondern der Anfang von Ostern.