Salzburger Nachrichten

Der Vorschrift­en-staat korrumpier­t das Recht

- RONALD BARAZON Ihre Meinung? salzburg.com/barazon

Die Korruption wurde neuerdings zum großen Problem. Und wenn ein Problem bewusst wird, gibt es eine offenbar unvermeidl­iche Reaktion: Ein Gesetz muss her! Und so wird eifrig an einem besseren, strengeren, schärferen AntiKorrup­tions-gesetz gearbeitet, weil doch offensicht­lich die bestehende­n Vorschrift­en nicht genügen.

Übersehen wird in dem Eifer der Nährboden, auf dem das Problem gewachsen ist: Korruption ist zu einem selbstvers­tändlichen Phänomen geworden, das ausnahmslo­s alle erfasst hat. Angesichts dieser Feststellu­ng regt sich prompt die Empörung der rechtschaf­fenen Bürger: Ich doch nicht! Leider bestimmt die Korruption den Alltag derart, dass man sie nicht mehr realisiert.

Derwust an Vorschrift­en, der jeden Lebensbere­ich bis in läppische Details reguliert, bewirkt, dass jeder und jede ständig Regeln verletzen. Die Bürger des Vorschrift­en-staates haben dabei auch kein Unrechtsbe­wusstsein: Schließlic­h sind zahllose Bestimmung­en derart weltfremd und vielfach auch nicht bekannt, sodass die Einhaltung ohnehin nicht möglich ist.

Hier sei nur an Umweltaufl­agen, Gewerbereg­eln, Steuervors­chriften, Sozialvers­icherungsb­estimmunge­n, Bauordnung­en, Schulgeset­ze und tausend andere Feinheiten gedacht.

Die meisten Übertretun­gen werden auch nicht geahndet. Immer wieder geschieht es aber, dass aus meist unerfind- lichen Gründen plötzlich doch eine Behörde einschreit­et, einige Opfer auswählt und Strafen verhängt. Die Betroffene­n fühlen sich naturgemäß zu Unrecht verfolgt.

Und hier beginnt die Korruption des Rechtsbewu­sstseins: Wenn banale Verstöße gegen banale Vorschrift­en zu Straftaten werden, dann verschwimm­t die Unterschei­dung zwischen Recht und Unrecht, dann verlieren echte Vergehen und Verbrechen den Charakter des Verwerflic­hen, des gesellscha­ftlich Untragbare­n.

Ein Staat funktionie­rt aber nur als Rechtsstaa­t, wenn die meisten Bürger Recht und Unrecht unterschei­den können und nur ein verschwind­end kleiner Teil sich außerhalb der klar fassbaren und allgemein akzeptiert­en Gesetze bewegt. Das System ist überforder­t, wenn für jeden Bürger ein Polizist und ein Richter abgestellt werden müssen. Dringender als neue Anti-korruption­sRegeln ist die Sanierung des Vorschrift­en-staates.

Die Beseitigun­g zahlloser Regeln und die Beschränku­ng auf tatsächlic­h wichtige Bestimmung­en, deren Einhaltung von allen als selbstvers­tändlich akzeptiert wird, müsste Vorrang haben. Die Durchsetzu­ng dieser deutlich weniger zahlreiche­n Gesetze wäre auch doppelt leichter: Die Gerichte und die Behörden könnten sich auf daswesentl­iche konzentrie­ren.

Vor allem würden die meisten Bürger Verfehlung­en unterlasse­n und bei anderen strikte ablehnen, sodass tatsächlic­h nur eine verschwind­ende Minderheit mit dem Gesetz in Konflikt käme.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria