„Die Demokratie sollte immer in der Krise sein“
Piratin. 24 Jahre alt, jüngste Abgeordnete im Eu-parlament: Was die schwedische Piratin Amelia Andersdotter in der Politik ändern möchte.
Sie sitzt erst seit November 2011 im Eu-parlament und ist die jüngste Abgeordnete. Die 24-jährige Amelia Andersdotter vertritt die schwedischen Piraten, die 2006 die erste Piratenpartei weltweit gegründet haben, in der europäischen Volksvertretung. Sie hat noch Probleme damit, dass ihr Job beginnt, „wenn sie aufsteht“, und endet, „wenn sie ins Bett muss“. Aber sie vertritt eine junge Generation, die mit neuen Kommunikationsformen die Gesellschaft verändert und die dafür selbst neue Rahmenbedingungen mitgestalten will. Im Sn-interview betont sie, dass die Demokratie eigentlich immer in einer Krise sein sollte. SN: Warum sind Sie Piratin geworden? Andersdotter: Als ich 18 war, hat mir ein Freund gesagt, es gebe eine politische Partei, die sich dafür einsetzt, die Bürgerrechte im öffentlichen Sektor zu verteidigen. Da dachte ich mir, das ist eine gute Idee, da mache ich mit. SN: Waren Sie schon immer mehr an Politik interessiert als Ihre jugendlichen Altersgenossen? Andersdotter: Nicht wirklich. In der Schule war ich sehr zornig, weil sie nur Microsoft-software auf den Computern verwendet haben. SN: Waren also die Veränderungen in der digitalenwelt und im Internet Auslöser, sich politisch zu engagieren? Andersdotter: Vor allem die sozialen Netzwerke im Internet haben die Art und Weise verändert, wie Menschen agieren, sich verhalten oder miteinander kommunizieren. Die Piraten sind jene Partei, die diese Veränderungen zum Thema macht – wie wir heute Freundschaften schließen, uns kulturell austauschen. SN: Stemmen Sie sich als Vertreterin der Piraten im Europaparlament auch stark gegen das politische Establishment und die Art undweise, wie heute Politik gemacht wird? Andersdotter: Ja und nein. Die Piraten sind eine demokratische parlamentarische Partei wie andere auch. Die Piraten können zu einem gewissen Grad als eine jener Bewegungen gesehen werden, die den Informationsmarkt von innen reformieren wollen, ohne eine Revolution anzuzetteln. SN: Können über die neuen Medien und die neuen sozialen Netzwerke auch neue Formen der direkten Demokratie entstehen? Andersdotter: Teilweise ja. Wir haben heute viel mehr Kommunikation. Wir sehen viel mehr direkten Informationsaustausch zwischen den Menschen und jenen Personen, die in öffentlichen Positionen arbeiten. SN: Ein Berliner Pirat hat eine Idee von seinem Laptop aus im Austausch mit den Teilnehmern auf einer Internet-plattform weiterentwickelt und in den Bundesrat getragen. Ein Modell? Andersdotter: Die Deutschen haben ein System, das sie „Liquid Feedback“nennen. Dafür nützen sie eine eigene Plattform, unabhängig von den großen sozialen Netzwerken. Es ist ein System, um kooperativ Vorschläge zu erarbeiten, es gibt aber keine Abstimmungen. Danach gehen Gesetzesinitiativen in die Parteigremien und weiter den normalenweg. SN: Was macht die Piraten erfolgreich? Auch in Österreich wollen sie durchstarten. Andersdotter: Die Menschen suchen nach politischen Alternativen. Viele haben das Gefühl, das politische Establishment weigert sich zu akzeptieren, dass die Menschen heute ganz unterschiedlich miteinander kommunizieren. SN: Würden Sie in diesem Zusammenhang auch von einer Demokratiekrise sprechen? Dass die Politiker mit ihrem Stil und ihrer Sprache gerade junge Menschen nicht mehr erreichen? Andersdotter: Möglicherweise ja, ein bisschen. Die Demokratie sollte idealerweise immer in einer Krise sein, damit die Menschen ständig einen starken Grund haben, sich zu engagieren. SN: Erwacht da gerade in Ihrer Generation ein neues politisches Bewusstsein, neue Bereitschaft, aktiv zu werden? Andersdotter: Viele Konflikte, die gerade mit den Urheberrechten und dem Markenschutz im Internet zu tun haben, oder wie die Kommunikation auf den Plattformen geregelt wird: Das alles wird sehr kontrovers diskutiert und interessiert eine Menge Leute. Wir sahen das zuletzt in der ACTADebatte (Anti-produktpiraterieAbkommen, Anm.). SN: Ist das nur ein sehr eindimensionales politisches Interesse, das auf die von Ihnen angesprochenen Bereiche beschränkt bleibt? Oder geht es darüber hinaus? Andersdotter: Ich sehe da keinen Gegensatz. Jüngere Leute sind natürlich mehr als die älteren von den Fragen im Zusammenhang mit neuen Kommunikationsformen betroffen. Das heißt aber nicht, dass sich ihr politisches Interesse nur darauf beschränkt.
Aber es ist auch bei mir so: Mein größtes Augenmerk gilt derzeit der Kommunikationspolitik. Für mich ist das einer der dringendsten Problembereiche, die wir derzeit zu lösen haben. SN: Haben sich die Politiker zu weit von ihren Bürgern entfernt? Andersdotter: Manchmal. SN: Sie arbeiten auf der europäischen Ebene. Was würden Sie in der EU gern ändern? Andersdotter: Ich finde es sehr problematisch, dass die Räte der Minister und Regierungschefs es so leicht haben, dass sie die anderen Eu-institutionen gegeneinander ausspielen können. Sehr oft finde ich, dass sie es vermeiden, wirklich Verantwortung zu übernehmen und dafür einzustehen. Sie agieren sehr abgeschlossen. Es ist schwierig herauszubekommen, was sie hinter verschlossenen Türen miteinander reden. Es fehlt Transparenz.
Wenn die Regierungschefs oder Minister nicht mit Kommission oder Parlament in Brüssel übereinstimmen, können sie relativ leicht nach Hause gehen und die Schuld auf die europäische Bürokratie abschieben. Der Effekt ist, dass Europa gespalten wird.
Besonders irritiert bin ich jetzt zum Beispiel, was rund um die Finanztransaktionssteuer passiert. Es ist befremdend, dass die EUFinanzminister die Entscheidungen des Eu-parlaments (tritt für eine umfassende Lösung ein, Anm.) beiseiteschieben. Das Parlament ist die einzige demokratisch gewählte Institution der EU. Die moralische Governance wird nicht respektiert. SN: Die schwedischen Piraten gehörten zu den Pionieren dieser neuen politischen Bewegung weltweit. Haben sich die Piraten in Schweden etabliert? Andersdotter: Wir investieren derzeit viel Arbeit und Mühe, um viele kleine lokale Organisationen zu gründen, die es bisher noch nicht gab. Wir brauchen noch bessere Strukturen und evaluieren unsere wichtigsten Plattformen. Und dann werden wir sehen, wie es heuer auf dem alljährlichen Parteikongress weitergehen wird. SN: Also mehr Macht für das Parlament? Andersdotter: Wir brauchen mehr Macht beim Eu-parlament. Und wir brauchen ein Parlament, das sich nicht davor fürchtet, diese Macht auch auszuüben.