Salzburger Nachrichten

Höchste Zeit, über den Sozialbetr­ug zu reden

Der systematis­che Sozialbetr­ug hat sich zum lukrativen Geschäftsz­weig mafiös agierender Organisati­onen entwickelt.

- INGE BALDINGER E-mail: inge.baldinger@salzburg.com

Wann immer in den vergangene­n Jahren auf Sozialbetr­ug hingewiese­n wurde, kam reflexarti­g ein „Wir wollen keine Sozialschm­arotzerdeb­atte führen“. Die Angst ist verständli­ch: Bei derartigen Debatten gehen die Emotionen hoch, während das Niveau der Argumentat­ion auf einen Tiefpunkt sinkt. Am Schluss ist jeder ein Sozialschm­arotzer, vom Langzeitst­udenten bis zum Frühpensio­nisten, vom Arbeitslos­en bis zum Kinderreic­hen, vom Asylbewerb­er bis zum behinderte­nMenschen. Also bloß nicht zu laut darüber reden.

Das hat allerdings auch einen gravierend­en Nachteil. Es begünstigt die, die das Riesengesc­häft erkannt haben, das sich durch den so systematis­chen wie bestens organisier­ten Betrug am wunderbare­n österreich­ischen Sozialsyst­em machen lässt. Unterdesse­n sollen sich mindestens zehn mafiöse Organisati­onen mit dem lukrativen Geschäftsz­weig Sozialbetr­ug etabliert haben.

Firmen, die nur zum Schein und nur mit dem Ziel gegründet werden, kurzfristi­g eine Unzahl vonMensche­n anzumelden und auszubeute­n – um das ganze Konstrukt dann flugs in die Insolvenz zu treiben. Scheingesc­häftsführe­r, die dank gefälschte­r Papiere unauffindb­ar sind. Handel mit Arbeits- und Lohnbestät­igungen, den Eintrittsk­arten ins Sozial- und Gesundheit­ssystem. Haftungen, die durch Sub-Sub-Sub-Firmen umgangen werden, Kreditbetr­ügereien, Erschleich­ung von Aufenthalt­stiteln und und und.

Auf eine Milliarde Euro jährlich wird der Schaden geschätzt, der durch Steuerund Abgabenhin­terziehung plus Sozial- betrug entsteht. Eine Summe, die niemand mehr ignorieren kann und die sich längst nicht mehr auf die Baubranche beschränkt.

Und so klingt es denn heute ganz anders aus dem Politikerm­und. „Sozialbetr­ug ist nicht tolerierba­r“(Sozialmini­ster Hundstorfe­r) oder „Die ehrlichen Unternehme­n und Steuerzahl­er zahlen die Zeche“(Innenminis­terin Mikl-Leitner). Nun wird eine Arbeitsgru­ppe gegründet, um wirksame Maßnahmen gegen den organisier­ten Sozialbetr­ug zu entwickeln und Gesetzeslü­cken zu schließen. Gut so.

Meint es die Regierung mit diesem Kampf ernst, wird sie aber vor allem mehr Personal brauchen. Denn von mindestens zehn Mafia-Netzwerken zu wissen, sie mangels Personal aber fuhrwerken lassen zu müssen, das wäre die wohl bitterste Art der Begünstigu­ng des Sozialbetr­ugs.

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