Kampfansage an Sozialbetrug
Mafiös. Der Sozialminister spricht von einer Milliarde Euro Schaden durch organisierten Sozialbetrug. Jetzt vernetzen sich auch die Behörden.
WIEN (SN-i.b.). Der organisierte Sozialbetrug hat eine Dimension erreicht, die die Politik zum Handeln zwingt. Der jährlich angerichtete Schaden wird auf eine Milliarde Euro geschätzt, mindestens zehn mafiöse Organisationen sollen in Österreich aktiv sein.
Wie gehen die Tätergruppen vor? Das erklärte am Dienstag Rudolf Unterköfler, Leiter der Abteilung für Wirtschafts- und Finanzkriminalität im Bundeskriminalamt: Rund um einen „Paten“, der als honoriger Geschäftsmann auftritt, entsteht ein vielfach verschachteltes Netzwerk eigens gegründeten Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit in- und ausländischen Scheingeschäftsführern oder Strohmännern. Ziel: Die Anmeldung von möglichst vielen Mitarbeitern – die Nichtsahnenden zur Ausbeutung, die anderen gegen Bezahlung zum Schein. Nach einem halben Jahr geht’s ab in den Konkurs und die nächste Firma wird gegründet. Steuern und Sozialversicherung für die Mitarbeiter werden nicht entrichtet, die Ansprüche gegenüber Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentgeltfonds entstehen aber.
Die Vorgangsweise ist nach der Darstellung von Unterköfler und der Strafrechtlerin Susanne Reindl-Krauskopf, die im Auftrag des Sozialministeriums eine Studie über das Phänomen erstellt hat, mitunter an Dreistigkeit kaum zu überbieten: So sollen sich nur zum Schein Angemeldete über die Arbeitnehmerveranla- gung sogar Steuergutschriften geholt haben, obwohl nie ein Cent Lohnsteuer entrichteten wurde. Auf öffentlichen Plätzen in Wien gibt es Arbeitsbestätigungen und Anmeldungen bei der Sozialversicherung zu kaufen, womit sich nicht nur die E-Card, sondern sich auch Aufenthaltstitel erschleichen lassen. Und in einem Nachbarland wurde sogar in der Zeitung inseriert, man könne Schwangeren durch eine Anmeldung in Österreich zu einer Geburt mit bester medizinischer Betreuung samt Wochengeld verhelfen. Rund 60 Fälle von Wochengeldbetrug soll es laut Unterköfler daraufhin gegeben haben.
Strafrechtlerin Reindl-Krauskopf rät der Politik zu einer Fülle von Maßnahmen. Darunter: Auf Basis der bisher von Polizei, Finanz und Gebietskrankenkassen gewonnenen Erkenntnisse ein Frühwarnsystem zu entwickeln, um Verdachtsfälle zu erkennen, ehe es zu spät ist. Statt der leicht zu fälschenden Anmeldung von Mitarbeitern auf Papier sollte nur noch die wesentlich missbrauchssichere Online-Anmeldung über ELDA möglich sein. Das hätte zugleich den Vorteil, dass die Daten zwischen den Behörden rasch abgeglichen werden können.
Seit April verwirklicht ist der Vorschlag, eine Baustellendatenbank einzurichten, um Kontrollen zu erleichtern. Reindl-Krauskopf weist aber darauf hin: Die kriminellen Netzwerke hätten unter- dessen auch in der Gastronomie, im Transport- und Taxigewerbe und in der Land- und Forstwirtschaft (Stichwort: Erntehelfer) Fuß gefasst.
Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) richtet nun eine Arbeitsgruppe ein, die alle mit dem Phänomen befassten Ministerien an einen Tisch bringt. Ziel ist eine enge Vernetzung von Finanz-, Sozial-, Innen-, Gesundheits- und Justizressort. Die Gegenseite ist bereits bestens vernetzt und nutzt jede sich bietende gesetzliche Lücke, warnte Reindl-Krauskopf. „Deshalb Lückenschluss!“
„Sozialbetrug ist nicht tolerierbar“, betonte Hundstorfer. Und Innenministerin Johanna MiklLeitner (ÖVP): „Es geht hier nicht um Nachbarschaftshilfe oder ein bisserl Pfuschen, es geht um eine Pfuscher-Mafia, die in engem Kontakt mit der Rotlichtszene und dem Suchtgifthandel steht.“