Salzburger Nachrichten

Ein Monster verrät viel

Ungeheuer. King Kong oder das Gespenst im Kinderzimm­er – lauter Monster. Matthias Burchardt erklärt, warum sie das sind.

- BERNHARD FLIEHER

SALZBURG (SN). Dem Gespenstis­chen und Unheimlich­en wird in der Ausstellun­g „Ungeheuerl­ich!“im Salzburger Museum der Moderne Rupertinum nachgespür­t. Matthias Burchardt, heute, Mittwoch, als Vortragend­er bei der Ausstellun­g, kennt sich mit Gruseln und Monströsem aus: Gespräch mit einemMonst­erologen. SN: Welches Erlebnis hat dazu geführt, dass Sie begannen, sich mit Monstern zu beschäftig­en? Burchardt: Zum einen hat mich die Erfahrung geprägt, dass ich mich selbst oft als Sonderling erlebt habe. Dann kam die Faszinatio­n für Monsterfig­uren in Büchern und Filmen hinzu: Vor allem das traurige, missversta­ndene Ungeheuer in David Lynchs „Elefantenm­ensch“oder Disneys „Die Schöne und das Biest“hatten meine Sympathie. Wissenscha­ftlich wurde mein Interesse geweckt durch eine Analyse von Schulbüche­rn. Im 17. Jahrhunder­t finden SN: Was macht man als Monsterolo­ge denn? Burchardt: Ich beschäftig­e mich mit Monstern im Zusammenha­ng mit der Frage: Was ist der Mensch? Dazu schaue ich auf die vermeintli­chen Abweichlin­ge, Freaks, Ungeheuer und Bestien in Literatur, Malerei, Film, Fernsehen, Geschichte, Gesellscha­ft und Politik. Das Ungeheuer funktionie­rt dann wie ein Vergrößeru­ngsglas über kulturelle Befindlich­keiten und verrät auch viel über die angeblich Normalen, die sich vor dem Monster gruseln oder von ihm fasziniert sind. sich Abbildunge­n von Behinderte­n unter der Überschrif­t „Monstrosi“, während heute glückliche­rweise ganz selbstvers­tändlich Körperbehi­nderte als Schulbuchf­iguren akzeptiert werden. SN: Welche Rollen spielen Monster für unsere Gesellscha­ft?

Was ist denn ein Monster? Burchardt: Ganz formal gesprochen: Es ist die Ausnahme, die die Regel nicht bestätigt, sondern bedrohlich oder fasziniere­nd verlockend infrage stellt. Solange es Menschen gibt, finden sich auch Darstellun­gen von Ungeheuern. Das liegt daran, dass Kulturen erkämpfte Lebensräum­e sind, die Ordnungen etablieren und bewahren wollen. Das Monster – lat. monstrare, also zeigen – wird dann zum Prüfstein und Mahnzeiche­n für alle Gewissheit­en.

SN: Muss man Monster fürchten? Burchardt: DasMonster dringt in geschützte Bereiche: King Kong erklimmt die Wolkenkrat­zer, Gruselwese­n verstecken sich im Wandschran­k. Dies kann man auch auf die Invasion vonWeltans­chauungen übertragen, die man durch Andersdenk­ende befürchtet. Dies löst einerseits Ängste aus, kitzelt aber auch das Begehren, neue Möglichkei­ten zu verwirklic­hen, die bisher verwehrt blieben. Burchardt: Man sollte annehmen, dass mit der Aufklärung, spätestens jedoch im 21. Jahrhunder­t, die Monster aus der Welt verschwund­en sein sollten. Zugleich erleben wir einen Boom von Fantasythe­men etwa durch „Harry Potter“oder „Twilight“. So, als bedürfe es dieser Monstermot­ive zur Verstoffwe­chslung von gesellscha­ftlichen Themen.

Bemerkensw­ert ist auch die Strategie von Medien, politische oder soziale Fragen durch Monsterisi­erungen zu vereinfach­en: Terroriste­nführer werden nicht rechtsstaa­tlich abgeurteil­t, sondern wie Bestien zur Strecke gebracht. Die Märkte lauern wie antike Ungeheuer vor Europa und müssen durch Opfergaben besänf- tigt werden, nur dass wir ihnen nicht mehr ein Schiff voller Jungfrauen zum Fraß vorwerfen, sondern die ökonomisch­e Zukunft der nächsten Generation aufs Spiel setzen. Interessan­t ist momentan eine Diskussion in Deutschlan­d, die vor allem die Umcodierun­g des Monströsen zeigt: Während früher eine berufstäti­ge Mutter zum Ungeheuer erklärt wurde, gilt heute eine Frau als Monster, die bewusst auf Berufsausü­bung verzichtet, um sich um ihre Kinder zu kümmern, weil sie die Verdummung ihres Kindes herbeiführ­e, indem sie es nicht in die Kindertage­sstätte schickt. SN: Wie gefährlich ist sie denn, die Monsterisi­erung? Burchardt: Das Beispiel mit der Mutter zeigt, wie beliebig die Zuschreibu­ng des Ungeheuers ist. Sie diffamiert jeweils legitime Interessen von Einzelnen, verhindert auch eine differenzi­erte Beurteilun­g und raubt einer Kultur die Möglichkei­t, wertschätz­end mit Vielfalt umzugehen. SN: In Ihrer Biografie steht auch, dass Sie Bildungspä­dagoge sind. Welche Bedeutung haben Monster oder das Unheimlich­e in der Entwicklun­g eines Menschen? Burchardt: Monster können als Identifika­tionsfigur­en oder als fiktive Widersache­r beitragen, dass Kinder sich klar werden, wer sie sind oder werden möchten. Die Erfahrung von Andersarti­gkeit und Schrecken kann allerdings auch zu Traumatisi­erungen führen, die Bildungspr­ozesse verhindern. SN: Könnten wir ohne der Idee von Monstern auskommen? Burchardt: Möglicherw­eise. So wünschensw­ert eine De-Monstratio­n des Ungeheuren – also die intellektu­elle Entzauberu­ng ist –, so trist und nüchtern wäre eine Welt ohne bedeutsame Abweichlin­ge, die zunächst als Monster verfolgt und vielleicht später als Heilige verehrt werden: Jesus ist in dieser Hinsicht ein Monster, aber auch Sokrates und Nietzsche. SN: Im Lauf des Lebens verlieren Monster dann ihren Schrecken?! Burchardt: Ja, es gibt Abnutzunge­n, Verniedlic­hungs- und Vereinnahm­ungstenden­zen: Gerade die Popkultur hat eine Neigung, sich Widerständ­iges einzuverle­iben, etwa wie Modeschöpf­er die Punkbewegu­ng imitieren. Ich würde mir wünschen, dass es immer eine kleine Dosis des Schreckens gäbe als Stachel im Fleisch jeder Kultur, damit wir uns vergewisse­rn könnten, wie es um den Sinn unserer Lebensmode­lle steht.

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Bild: SN/PRIVAT

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