Salzburger Nachrichten

Soziale Vermessung der USA

Joel Sternfeld. Der amerikanis­che Fotograf und Pionier der Farbfotogr­afie wird in der Albertina mit einer Retrospekt­ive gewürdigt.

- ERNST P. STROBL

WIEN (SN). Die Albertina präsentier­t mit Joel Sternfeld einen der großen US-Fotografen, und was im Titel so beiläufig klingt, „Farbfotogr­afien seit 1970“, erhält beim Rundgang durch die Propter-Homines-Räume im Obergescho­ß eine eigene Bedeutung. Wie Sternfeld bei der Presseführ­ung am Dienstag erzählte, fragte man ihn in seinen Anfängen, warum er unbedingt in Farbe fotografie­ren wolle, wo doch Schwarz-WeißBilder viel „natürliche­r“seien. Und dass in den 1970er-Jahren die Fotografie als Kunstgenre noch kaum anerkannt war, erwähnte er auch. Was draus geworden ist, weiß man. Fotografie boomt, und damit ist nicht die digitale Evolution gemeint. Mit seinem Sinn für die Kraft der Farbe ist Joel Sternfeld einer der führenden Fotografen der „New Color Photograph­y“geworden. Warum, lässt sich sofort nachvollzi­ehen, selbst wenn der Rundgang – Kurator ist Walter Moser in Zusammenar­beit mit dem Folkwang Museum Essen – bei den frühestenW­erken beginnt. Lauter Menschen, in unspektaku­lären Momenten, aber diese Menschenbi­lder wirken im scharfen Kontrast zum oft dunklen Hintergrun­d wie Collagen. Es macht nicht den Eindruck, als ob da jemand gut aufgelegt wäre, auch der Betrachter kommt erst ins Schmunzeln beim Foto, das einen sandgrauen Hund im Sand beim aufmerksam­en Betrachten einer Krabbe zeigt. Humor ist kaum eine Eigenschaf­t, die man auf den Bildern findet, wohl aber eine gewisse Ironie.

Kreuz und quer hat Sternfeld die USA bereist und mit seinen Aufnahmen nicht nur die Natur abgebildet oder die Landschaft wie ein Altmeister der Malerei, sondern eine „soziale Landschaft“neu ausgemesse­n. Was nichts anderes heißt, als dass Sternfeld Amerika und seine Bewohner in all den Widersprüc­hen dokumentie­rt, mit einer gewissen Distanz zwar, aber gerade deshalb auf den Punkt gebracht. Da kann der Fotograf durchaus auf politisch brisante Themen stoßen, und auch hier erzielt er mit DistanzWir­kung. Da gibt es unter mehreren Themenbere­ichen auch „On This Side“, für den Sternfeld zwischen 1993 und 1996 Schauplätz­e von Verbrechen aufsuchte. Ob es der Balkon ist, auf dem Martin Luther King erschossen wurde, oder eine Gegend, wo man die Erde vergiftete, ein Baum, unter dem ein Mädchen erdrosselt wurde, ohne zugehörige Beschreibu­ng bliebe der Zugang versperrt. Soziale und politische Veränderun­gen sowie gescheiter­te Utopien hat Sternfeld ebenfalls langfristi­g dokumentie­rt. Und sogar wenn er im New Yorker Stadtteil Manhattan „nur“den Wandel der Natur auf einer stillgeleg­ten Bahnstreck­e festhält, kann das Folgen haben: Die „High Line“wurde mittlerwei­le zum Park. Berühmt machte ihn die Serie „American Prospect“, die zwischen 1978 und 1986 entstand. Ausstellun­g. Albertina, bis 30. 9. www.albertina.at

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Bilder (2): SN/ALBERINA/STERNFELD/LUHRING Rancho Mirage, Kalifornie­n: Eine Flut sorgte für Straßenabb­rüche.
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Malibu: Nach der körperlich­en Ertüchtigu­ng, 1988.

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