Soziale Vermessung der USA
Joel Sternfeld. Der amerikanische Fotograf und Pionier der Farbfotografie wird in der Albertina mit einer Retrospektive gewürdigt.
WIEN (SN). Die Albertina präsentiert mit Joel Sternfeld einen der großen US-Fotografen, und was im Titel so beiläufig klingt, „Farbfotografien seit 1970“, erhält beim Rundgang durch die Propter-Homines-Räume im Obergeschoß eine eigene Bedeutung. Wie Sternfeld bei der Presseführung am Dienstag erzählte, fragte man ihn in seinen Anfängen, warum er unbedingt in Farbe fotografieren wolle, wo doch Schwarz-WeißBilder viel „natürlicher“seien. Und dass in den 1970er-Jahren die Fotografie als Kunstgenre noch kaum anerkannt war, erwähnte er auch. Was draus geworden ist, weiß man. Fotografie boomt, und damit ist nicht die digitale Evolution gemeint. Mit seinem Sinn für die Kraft der Farbe ist Joel Sternfeld einer der führenden Fotografen der „New Color Photography“geworden. Warum, lässt sich sofort nachvollziehen, selbst wenn der Rundgang – Kurator ist Walter Moser in Zusammenarbeit mit dem Folkwang Museum Essen – bei den frühestenWerken beginnt. Lauter Menschen, in unspektakulären Momenten, aber diese Menschenbilder wirken im scharfen Kontrast zum oft dunklen Hintergrund wie Collagen. Es macht nicht den Eindruck, als ob da jemand gut aufgelegt wäre, auch der Betrachter kommt erst ins Schmunzeln beim Foto, das einen sandgrauen Hund im Sand beim aufmerksamen Betrachten einer Krabbe zeigt. Humor ist kaum eine Eigenschaft, die man auf den Bildern findet, wohl aber eine gewisse Ironie.
Kreuz und quer hat Sternfeld die USA bereist und mit seinen Aufnahmen nicht nur die Natur abgebildet oder die Landschaft wie ein Altmeister der Malerei, sondern eine „soziale Landschaft“neu ausgemessen. Was nichts anderes heißt, als dass Sternfeld Amerika und seine Bewohner in all den Widersprüchen dokumentiert, mit einer gewissen Distanz zwar, aber gerade deshalb auf den Punkt gebracht. Da kann der Fotograf durchaus auf politisch brisante Themen stoßen, und auch hier erzielt er mit DistanzWirkung. Da gibt es unter mehreren Themenbereichen auch „On This Side“, für den Sternfeld zwischen 1993 und 1996 Schauplätze von Verbrechen aufsuchte. Ob es der Balkon ist, auf dem Martin Luther King erschossen wurde, oder eine Gegend, wo man die Erde vergiftete, ein Baum, unter dem ein Mädchen erdrosselt wurde, ohne zugehörige Beschreibung bliebe der Zugang versperrt. Soziale und politische Veränderungen sowie gescheiterte Utopien hat Sternfeld ebenfalls langfristig dokumentiert. Und sogar wenn er im New Yorker Stadtteil Manhattan „nur“den Wandel der Natur auf einer stillgelegten Bahnstrecke festhält, kann das Folgen haben: Die „High Line“wurde mittlerweile zum Park. Berühmt machte ihn die Serie „American Prospect“, die zwischen 1978 und 1986 entstand. Ausstellung. Albertina, bis 30. 9. www.albertina.at