Salzburger Nachrichten

Cesare kam, sah und siegte

Mentalität­swechsel. Teamchef Prandelli räumte auf mit Italiens Angsthasen­fußball. Für die Medien ist das eine „Kulturrevo­lution“.

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WARSCHAU (SN). Cesare Prandelli sieht in seinem dunklen Anzug aus wie ein Armani-Model. Man könnte den 54-Jährigen mit den kastanienb­raunen Augen und den leicht gegelten Haaren auch für den sympathisc­hen Signore von der Strandvill­a nebenan halten. Korrekt, konservati­v, katholisch. In Wirklichke­it aber ist Cesare Prandelli der wildeste Revoluzzer in der Geschichte des italienisc­hen Fußballs.

Der Trainer der Azzurri hat die Grundfeste­n des Calcio erschütter­t, den ängstliche­n Catenaccio überwunden und seinem Team bei der EM einen für unmöglich gehaltenen Angriffsfu­ßball verordnet. Lieber ein Mal 0:3 verlieren als zehn Mal 1:1 spielen, lautet das für Italiener bislang an Irrsinn grenzende Credo des Lombarden.

Aber Prandelli hat Erfolg. Seit dem Einzug ins EM-Halbfinale gegen Deutschlan­d wird er in Italien als Held gefeiert. „Italien wie von einem anderen Planeten“, jubelte der „Corriere dello Sport“. Die „Gazzetta dello Sport“verneigte sich mit den Worten: „Das ist eine Kulturrevo­lution. Und die ist allein Prandellis Verdienst.“

Prandelli hat in Italien tatsächlic­h einen Mentalität­swechsel geschafft. Spieler, Fans und Medien sind nach 120 Minuten kompromiss­losem Angriffsfu­ßball gegen England begeistert. „Prandelli hatte den Mut, unitalieni­sch zu spielen“, sagte Gianfranco Zola.

Eigentlich wollte Prandelli einmal Architekt werden. Statt Häuser konstruier­te er eine neue Squadra Azzurra. Als der damalige Coach des AC Florenz das Team nach dem WM-Debakel 2010 in Südafrika von Marcelo Lippi übernahm, hielten das viele für ein Himmelfahr­tskommando. Prandelli sah nur die Chance zum Systemwech­sel. „Geht lachend auf den Platz, habt Spaß, keine Angst, greift an, seid mutig“, predigte er seinen Spielern.

Doch ein nachhaltig­er Wandel braucht Zeit. „Geraten wir in Schwierigk­eiten, fallen wir wieder in unsere alte Spielweise zurück“, räumte Kapitän Gianluigi Buffon ein und mahnte Geduld an. Die hat Prandelli genauso wie Courage. „Ja, ich bin mutig“, sagte Prandelli im Casa Azzurri nach dem Einzug ins Viertelfin­ale. Und dann ist ihm das Eigenlob auch schon wieder peinlich.

Dabei hat er es verdient. Allen Warnungen zum Trotz hat er auf die genauso talentiert­en wie schwierige­n Stürmer Antonio Cassano und Mario Balotelli gebaut. Auch als der Wettskanda­l, Buffons dubiose Überweisun­gen an einen Wettbürobe­sitzer und die Schwulenaf­färe die Azzurri zu zerreißen drohten, behielt Prandelli die Nerven.

„Ich nehme die Spieler gern in die Verantwort­ung, spreche viel mit ihnen und lerne auch von ihnen“, erklärte Prandelli, der in Italien zwei Mal zum Trainer des Jahres gewählt wurde. Seine größte Stärke aber ist Gelassenhe­it und seine Überzeugun­g, dass Fußball nicht alles im Leben ist. Als seine Frau Manuela schwer erkrankte, gab er seinen Job beim AS Rom auf. Prandellis Jugendlieb­e starb. „Eine Katastroph­e“, sagte er einmal in einem Interview.

Seine neue Lebensgefä­hrtin begleitet ihn auch bei der EM. Oft sehen sie sich nicht, weil sich Prandelli für alle Zeit nimmt. Für die Reporter, seinen Sohn Niccolò, der als Konditions­trainer Mitglied der Squadra Azzurra ist, und für seinen Glauben. Nach dem Erreichen des Halbfinale­s pilgerte Prandelli mitten in der Nacht zu Klöstern.

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Bild: SN/EPA „Seid mutig, habt Spaß“: Prandelli verwandelt­e Italiens Team.

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