„Ich fühle mich immer noch als der Jedermann“
Peter Simonischek. Der Jedermann a. D. probt seit Freitag in Salzburg den Kurfürsten.
Im Salzburger Landestheater begannen gestern, Freitag, die Proben für Heinrich von Kleists „Prinz von Homburg“, inszeniert von Andrea Breth. Peter Simonischek spielt darin den Kurfürsten. Mit den SN sprach der Jedermann a. D. über seine neue Rolle. SN: Erstmals seit Langem spielen Sie wieder im Salzburger . . . Simonischek: Seit Langem? Zwei Jahre hab ich Pause gemacht. SN: Ja, schon, seit dem „Jedermann“. Aber erstmals seit bald 20 Jahren spielen Sie wieder im Landestheater, zuletzt 1996 in „Kirschgarten“. Ist Ihnen dieses Haus noch vertraut? Simonischek: Ja, es ist ein wunderschönes Haus, eine tolle Bühne. Ich habe ja schon oft dort gespielt, „Wesele“, „Kirschgarten“, in Canettis „Hochzeit“, mit Axel Corti, das war eine schwierige Arbeit. Und der Tasso war (1982 und 1983, Anm.) auch nicht leicht, das war mit großen Schauspielern, Gisela Stein, Jutta Hofmann, Romuald Pekny und Thomas Holzmann. SN: Erstmals seit Langem sind Sie nicht der Jedermann. Simonischek: Wer den Jedermann gespielt hat, ist und bleibt der Jedermann. Ich hab das sehr gern gemacht im Sommer, das ist etwas Besonderes geworden. Aber es war schon gut, dass ich nach acht Jahren aufgehört habe. SN: Wenn Sie bisher durch die Stadt Salzburg geradelt sind, rief man Ihnen nach: „Ah, der Jedermann!“Mögen Sie das? Simonischek: Ja, in Salzburg mag ich das gern. Das gehört zu dieser Rolle, und der „Jedermann“gehört zu Salzburg. Es gibt ja viele Salzburger, die flüchten vor dem Festspieltrubel aus der Stadt, aber beim „Jedermann“hab ich das Gefühl, da sagen die Salzburger: „Der ist unserer, der gehört zu uns.“Ein Mal allerdings war ich in Dubai am Flughafen, und da schrie einer von fern: „Jedermaaaaaaann!“Wirklich, in Dubai am Flughafen! Das mag ich nicht.
Peter Simonischek SN: Ist Salzburg ein wenig Ihr Zuhause geworden? Simonischek: Ich hab mich auf dem Domplatz schon als Hausherr gefühlt. Sogar im Winter, wenn ich nach Salzburg kam, bin ich immer auf den Domplatz gegangen, auch wenn er verschneit war. Da hab ich dann leise vor mich hin gesagt: „Bis zum Sommer! Ich komm wieder.“Dieser Platz ist wie ein Schloss, das man nur im Sommer bewohnt.
SN: Jetzt kommen Sie als Kurfürst. Simonischek: Das ist etwas anderes, das ist nicht so eine Identifikationsfigur für die Zuschauer wie der Jedermann. Und der Kurfürst, besonders in dieser Inszenierung, wird nicht unbedingt ein Sympathieträger sein. SN: Sie kennen Andrea Breth sehr lang, noch von der gemeinsamen Zeit an der Berliner Schaubühne. Simonischek: Ja, ich war die ganze Breth-Zeit an der Schaubühne, von ihrer ersten Inszenierung „Der einsame Weg“, die sie gemacht hat, noch bevor sie Chefin wurde, bis zur letzten, die nicht mehr fertig wurde, „Familie Schroffenstein“von Kleist.
Auch am Burgtheater haben wir mit Freude und Erfolg gearbeitet, zuletzt für „Zwischenfälle“und „Die Ziege oderWer ist Sylvia?“. SN: Wie hat sie sich seit der Schaubühnenzeit verändert? Simonischek: Sie ist gelassener geworden. Zugleich wird sie immer kühner in ihrer Sicht auf Details und Charaktere.
Genauigkeit hingegen war immer schon ihr Markenzeichen: Graben, graben, graben, suchen, suchen, suchen, finden. SN: Was heißt das für die Proben (seit mehrerenWochen ist imArsenal in Wien geprobt worden)? Simonischek: Es ist mitunter sehr anstrengend, immer ist es eine Forschungstätigkeit. Man geht auf die Suche, man probiert aus.
Oft gehen wir in der Probe von Annahmen aus, die auf den ersten Blick nicht in der jeweiligen Szene zu entdecken sind. Wir machen zum Beispiel irgendeine Nebensache zur Hauptsache und schauen, was passiert. So machen wir Erfahrungen mit dem Text, mit Szenen, mit Verhältnissen zueinander. Da ergeben sich oft überraschende Sichtweisen.
Andrea Breth hat immer wieder bewiesen, dass sie sehr klug die Situationen zueinander positionieren kann, vor allem bei Kleist. SN: Der „Prinz von Homburg“spielt um 1675 im schwedischbrandenburgischen Krieg. Warum ist so ein Krieg heute relevant? Simonischek: Der Krieg ist ein Spiegel für den Konflikt, aber den Konflikt gibt es auch ohne Krieg.
Und der Krieg steht auch als Metapher für so einen Konflikt, der sich in der Seele jedes Menschen abspielen kann.
SN: Welcher Konflikt? Simonischek: Der zwischen Leidenschaft und Staatsräson, zwischen Emotion und Pflichtbewusstsein, zwischen egoistischem Ehrgeiz und Nachgeben im Sinne des staatlichen Ganzen, zwischen Verantwortung und Gehorsam.
Diese beiden Positionen sind personifiziert in den Figuren des Prinzen von Homburg und des Kurfürsten. Im Lauf des Stücks nähert sich jeder der Position des anderen an. SN: Im „Prinz von Homburg“beweist Kleist erstaunliche Virtuosität mit Versen. Wie geht es Ihnen mit den Trochäen und Daktylen? (Trochäen: abwechselnd schwere und leichte Silben, Daktylen: eine Silbe schwer, zwei leicht)? Simonischek: Ich mag das gern. Es war ja einmal ein wesentlicher Teil des Berufes, dass man klassische Verse sprechen kann.
SN: Wie macht man das? Simonischek: Es darf nicht klappern. Man muss es auf Sinn sprechen, trotzdem soll der Vers klingen. Im „Homburg“gibt es da Sätze, wie „Wer immer auch die Reuterei geführt, am Tag der Schlacht, und, eh der Obrist Hennings des Feindes Brücken hat zerstören können, damit ist aufgebrochen, eigenmächtig, zur Flucht, bevor ich Order gab, ihn zwingend, der ist des Todes schuldig, das erklärt ich, und vor ein Kriegsgericht bestellt ich ihn.“Das sind Schachtelsätze vom Feinsten!