Salzburger Nachrichten

Klagenfurt­er Probleme mit derwirklic­hkeit

Wettlesen um den Ingeborg-bachmann-preis – Mit Mitteln wie Traum, Vorstellun­g und Symbolik werden Grenzen der Wirklichke­it gesprengt

- ANTON THUSWALDNE­R

KLAGENFURT (SN). Es gibt ein Wirklichke­itsproblem in der jüngsten deutschspr­achigen Literatur. Das zeigt sich bei den 36. Tagen der deutschspr­achigen Literatur in Klagenfurt, die am Sonntag mit der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises enden. 14 Kandidaten lesen vor Publikum und sieben Juroren.

Die Lebenswirk­lichkeit allein genügt den bisher angetreten­en Autorinnen und Autoren nicht. Sie brechen aus in die Welt des Traums, der Imaginatio­n, der Symbolik. Das mag eine Flucht bedeuten in Räume, wo Freiheiten ohne Widerstand zu haben sind, um sich eine Gegenwelt zu schaffen, auf die die bedrohlich­e Ge- genwart keinen Zugriff hat. Es lässt sich auch als Erweiterun­g des Bewusstsei­ns auffassen, um die Grenzen unserer Wahrnehmun­g aufzuspren­gen und uns eine reichere Wirklichke­it aufzuschlü­sseln, als sie uns landläufig unterkommt.

Aber sieht man sich die Texte an, die bisher der Jury vorgestell­t worden sind, bekommt man es mit vielen halbherzig­en Versuchen zu tun, unserer komplexen Zeit auf die Schliche zu kommen.

Dafür mag der Versuch Hugo Ramneks stehen, mit seinem Auszug aus dem Roman „Kettenkaru­sell“ein Volksfest zum Anlass zu nehmen, politische Verhältnis­se zu verhandeln. Er flüchtet sich in eine Sprache, reich an Bildern, die aufgeladen mit Symbolen Bedeutung suggeriere­n. Pathos und Schwulst sind nie fern, so bekommt die Sexualität, die unter der Oberfläche lauert, etwas aufdringli­ch Verschmock­tes.

Da geht Andreas Stichmann etwas vorsichtig­er vor, wenn er einen jungen Mann als Ein- schleichdi­eb in eine Familie eindringen lässt, in der er Normalität und Gewöhnlich­keit zu finden hofft. Sieht so die Wunschvors­tellung eines beschädigt­en Charakters aus, oder zieht einer dieses Gegenprogr­amm zu einem armseligen Leben knallhart durch? So genau lässt sich das nicht sagen von einer Geschichte, die einen Spannungsz­ustand zwischen Fantasie und Realität in Szene setzt.

Olga Martynova holt weit aus, wenn sie Anklänge aus der ägyptische­n Mythologie ebenso in ihre Geschichte integriert wie den Angriff auf bürgerlich­e Selbstgewi­ssheit im Sinne der romantisch­en Unvernunft. Martynova wurde unter Berührungs­verbot gestellt. Sie ist Russin, die auf Deutsch schreibt. Deshalb wurde sie wie ein rares Wundertier behandelt. Seltsam, wenn Kritiker andächtige Kniefälle verrichten.

Auch Cornelia Travnicek profitiert­e von einer gnädigen Jury. Sie schützte das jugendlich­e Alter von 25 Jahren, um nicht sprachlich­er Armut geziehen zu werden.

Ein Mal machte sich Ratlosigke­it breit, als Sabine Hassinger aus einer Arbeit vortrug, die in der Tradition der sprachkrit­ischen Literatur steht. Es fällt schwer, eine schlüssige Geschichte herauszuzi­ehen von Gestalten, die nicht nach den Regeln der Gesellscha­ft funktionie­ren. Die Figuren sind mit wechselnde­n Identitäte­n ausgestatt­et, bekommen keine unverwechs­elbaren Eigenschaf­ten, sondern verschwimm­en in anderen Figuren.

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Bild: SN/DAPD Publikum und Juroren hören Vorlesen im ORF-Theater zu.beim

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