Klagenfurter Probleme mit derwirklichkeit
Wettlesen um den Ingeborg-bachmann-preis – Mit Mitteln wie Traum, Vorstellung und Symbolik werden Grenzen der Wirklichkeit gesprengt
KLAGENFURT (SN). Es gibt ein Wirklichkeitsproblem in der jüngsten deutschsprachigen Literatur. Das zeigt sich bei den 36. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, die am Sonntag mit der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises enden. 14 Kandidaten lesen vor Publikum und sieben Juroren.
Die Lebenswirklichkeit allein genügt den bisher angetretenen Autorinnen und Autoren nicht. Sie brechen aus in die Welt des Traums, der Imagination, der Symbolik. Das mag eine Flucht bedeuten in Räume, wo Freiheiten ohne Widerstand zu haben sind, um sich eine Gegenwelt zu schaffen, auf die die bedrohliche Ge- genwart keinen Zugriff hat. Es lässt sich auch als Erweiterung des Bewusstseins auffassen, um die Grenzen unserer Wahrnehmung aufzusprengen und uns eine reichere Wirklichkeit aufzuschlüsseln, als sie uns landläufig unterkommt.
Aber sieht man sich die Texte an, die bisher der Jury vorgestellt worden sind, bekommt man es mit vielen halbherzigen Versuchen zu tun, unserer komplexen Zeit auf die Schliche zu kommen.
Dafür mag der Versuch Hugo Ramneks stehen, mit seinem Auszug aus dem Roman „Kettenkarusell“ein Volksfest zum Anlass zu nehmen, politische Verhältnisse zu verhandeln. Er flüchtet sich in eine Sprache, reich an Bildern, die aufgeladen mit Symbolen Bedeutung suggerieren. Pathos und Schwulst sind nie fern, so bekommt die Sexualität, die unter der Oberfläche lauert, etwas aufdringlich Verschmocktes.
Da geht Andreas Stichmann etwas vorsichtiger vor, wenn er einen jungen Mann als Ein- schleichdieb in eine Familie eindringen lässt, in der er Normalität und Gewöhnlichkeit zu finden hofft. Sieht so die Wunschvorstellung eines beschädigten Charakters aus, oder zieht einer dieses Gegenprogramm zu einem armseligen Leben knallhart durch? So genau lässt sich das nicht sagen von einer Geschichte, die einen Spannungszustand zwischen Fantasie und Realität in Szene setzt.
Olga Martynova holt weit aus, wenn sie Anklänge aus der ägyptischen Mythologie ebenso in ihre Geschichte integriert wie den Angriff auf bürgerliche Selbstgewissheit im Sinne der romantischen Unvernunft. Martynova wurde unter Berührungsverbot gestellt. Sie ist Russin, die auf Deutsch schreibt. Deshalb wurde sie wie ein rares Wundertier behandelt. Seltsam, wenn Kritiker andächtige Kniefälle verrichten.
Auch Cornelia Travnicek profitierte von einer gnädigen Jury. Sie schützte das jugendliche Alter von 25 Jahren, um nicht sprachlicher Armut geziehen zu werden.
Ein Mal machte sich Ratlosigkeit breit, als Sabine Hassinger aus einer Arbeit vortrug, die in der Tradition der sprachkritischen Literatur steht. Es fällt schwer, eine schlüssige Geschichte herauszuziehen von Gestalten, die nicht nach den Regeln der Gesellschaft funktionieren. Die Figuren sind mit wechselnden Identitäten ausgestattet, bekommen keine unverwechselbaren Eigenschaften, sondern verschwimmen in anderen Figuren.