Gut, dass man verlieren kann
Die Zeugnisse sind da – und damit die Frage: Sind lauter Einser eine gute Sache?
Man kann auch gleich biblisch werden: Das mit den Letzten, die Erste werden, hat nämlich schon etwas. Nur muss man’s lernen. Und wenn jetzt im Zeugnis zwei Zweier stehen, wie bei der Doris, muss man nicht biblisch werden, aber man sollte doch meinen, dass da einer sagt, dass zwei Zweier kein Malheur sind. Sagt aber keiner. Keiner sagt irgendwas. Alle schauen ein bisserl so wie die Deutschen nach dem Halbfinale gegen Italien. Weil alle immer nur gewinnen wollen. Die Sieger nämlich sind die vorgesehenen Hauptakteure im Drama der Gegenwart. Hecheln und Brüllen im Erfolg dröhnen aber weit unappetitlicher als das Stöhnen in der Niederlage. Sieger sind laut und überheblich und vergessen, dass am Ende immer alles verloren geht, sogar das Leben. „Du bist mutig, traust dich an allen Geräten mitmachen, und was mir besonders gefällt: Du kannst auch gut verlieren“, hat die Lehrerin bei der mündlichen Beurteilung über den Turnunterricht einer Schülerin formuliert. Das ist mutig in einer Welt blödsinnig übertriebener Beschützerinstinkte, die das Verlieren weglügen. Die ausgeprägteWattebauschMentalität – alles so lang umhüllen, bis auch das Blödeste und Schlechteste und Dümmste ausschaut, als wäre es in Ordnung – ist nur ein schlechter Verband über denWunden, die zum Leben gehören. Mutiger als jemanden zum Sieger zu machen, ist es, jemandem zu sagen, dass er ein guter Verlierer ist. „Ein guter Verlierer“– dieser Satz tritt in Opposition mit der Scheinwelt, bevölkert von angeblich Fröhlichen und immer Siegreichen. Dieser Satz tut mehr fürs Leben als jeder Einser.