Neue Mittelschule hat erste Absolventen
Zwischenbilanz. Die Neue Mittelschule (NMS) wird als Modell vor allem von früheren Hauptschulen gut angenommen. Zum ersten Zeugnis gibt es erste positive Ergebnisse.
WIEN (SN, APA). Zum ersten Mal werden in diesen Wochen an den Neuen Mittelschulen Abschlusszeugnisse verteilt. Tausende Jugendliche gehen nach vier Jahren von der neuen Schulform ab, die bis 2018/19 alle Hauptschulen ersetzen soll. Die Absolventen besuchten jene 67 „Pionierschulen“, die 2008/09 als erste Standorte mit dem Modellversuch, der ab Herbst 2012 in das Regelschulwesen überführt wird, begonnen haben. Mit dem BG/BRG Klusemannstraße in Graz war allerdings nur eine AHSUnterstufe mit dabei.
Für eine Bilanz über Erfolg oder Versagen des Modells ist es laut Erich Svecnik, Leiter der NMS-Evaluation im Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) „noch zu früh“, es gebe noch zu wenige Daten. Die 67 Schulen seien eine zu kleine Auswahl, zudem seien dort Standorte überrepräsentiert, die schon vor ihrer Teilnahme amModellversuch „recht innovativ waren“. Erste, bedingt aussagekräftige Ergebnisse zur Entwicklung der Schülerleistungen soll es bis zum Sommer 2013 geben. Derzeit könne man lediglich aus Befragungen sagen, dass die Akzeptanz der neuen Schulform relativ hoch sei.
Vorläufige Zahlen auf Basis der Leistungen im Wintersemester zeigen außerdem, dass im ersten Jahrgang 53,2 Prozent aller Schüler in den vierten Klassen der NMS die Reife für eine höhere Schule erworben haben. Im Vergleichszeitraum des Vorjahrs waren es an den damaligen Hauptschulen nur 44,5 Prozent gewesen. Nun gilt es abzuwarten, inwieweit diese Jugendlichen tatsächlich eine höhere Schule besuchen bzw. wie sie in dieser abschneiden.
Schilcher: „Stimmiges Konzept“
Ein positives Resümee über die ersten vier Jahre NMS zieht Miterfinder und Bildungsexperte Bernd Schilcher: Diese sei keine „etwas aufgemotzte Hauptschule“, das Konzept sei im Gegenteil stimmig. Durch innere Differenzierung des Unterrichts würden Schüler speziell nach ihren Stärken und Fähigkeiten gefördert und Schwächen kompensiert. In der NMS solle „die Breite der Begabungen“anerkannt und gute Leistungen in Musik oderWerken genauso geschätzt werden wie in Mathematik oder Englisch.
Ein ursprüngliches Ziel der NMS wurde laut Schilcher „natürlich nicht“erreicht, nämlich das Verschieben der Bildungsentscheidung von 9,5 Jahren auf 14 Jahre: Es gebe weiter keine gemeinsame Unterstufe für alle. Und eine aktuelle Umfrage der Karmasin-Motivforschung im Auftrag von „profil“zeigt: Zwei Drittel der Österreicher wollen, dass das auch so bleibt – sie sind weiterhin für das klassische, achtjährige Gymnasium. Nur 24 Prozent plädieren für
ein gutes Zeugnis ausgestellt werden: Sie brachten ihre ersten Absolventen häufiger zur AHS-Reife als die entsprechenden Hauptschulen in den Jahren zuvor. eine Abschaffung dieser Schulform. Dennoch sieht Schilcher die NMS wie Unterrichtsministerin Claudia Schmied als einen Zwischenschritt in Richtung Gesamtschule.
In ihrem Bestreben, eine gemeinsame Schule der Zehn-bis 14-Jährigen zu schaffen, hatte Schmied mit Zustimmung des Koalitionspartners die NMS im Jahr 2008 auf Schiene gebracht. Damals starteten in Kärnten, Oberösterreich, Burgenland, der Steiermark und in Vorarlberg an 67 Standorten gesetzlich verankerte Modellversuche mit rund 3700 Schülern. Mittlerweile gibt es 434 NMS-Standorte mit rund 57.000 Schülern. Die Neue Mittelschule ist aber keine Gesamtschule: Mit Herbst 2012 wird sie zwar vom Schulversuch zur Regelschulform – bis 2018 sollen schrittweise alle Hauptschulen durch NMS ersetzt und 238.000 Schüler an der neuen Schulform unterrichtet werden. Parallel dazu bleiben aber die AHS-Unterstufen bestehen.
Das System der NMS
An NMS werden Schüler mit und ohne AHS-Reife unterrichtet. Inhaltlich ähnelt der Lehrplan jenem des Realgymnasiums. In Deutsch, Mathematik und lebender Fremdsprache (meist Englisch) ist eine innere Differenzierung des Unterrichts vorgesehen. Für pädagogische Maßnahmen wie temporäre Gruppenbildung, Förderund Leistungsmaßnahmen oder Teamteaching mit zwei Lehrern in der Klasse gibt es vom Ministerium Zusatzmittel. Im Gegensatz zur Hauptschule sind keine fixen Leistungsgruppen vorgesehen.
Zusätzlich zu den Ziffernnoten werden im NMS-Zeugnis die individuellen Lernund Leistungsstärken festgehalten. In der 3. und 4. Klasse NMS wird in den differenzierten Gegenständen (Deutsch, Mathematik, Fremdsprache) im Zeugnis außerdem ausgewiesen, ob der Schüler sich nur Basiswissen („grundlegende Allgemeinbildung“) oder komplexeres Wissen („vertiefte Allgemeinbildung“) aneignen konnte. Die vertiefte Bildung entspricht dem Bildungsziel der AHS-Unterstufe, die grundlegende Bildung umfasst dieselben Inhalte, aber auf einer weniger komplexen Ebene.
Wer in allen differenzierten Fächern „vertieft“abschließt, ist zum Übertritt in AHS oder berufsbildende höhere Schulen (BHS) berechtigt. Wer das in einem Fach nicht schafft, kann von der Klassenkonferenz AHS/BHS-reif erklärt werden. Wer in der 4. Klasse NMS in allen drei Gegenständen nach „grundlegendem Allgemeinwissen“mit „Befriedigend“oder „Genügend“beurteilt wird, darf in berufsbildende mittlere Schulen ( BMS) aufsteigen. Wer in dieser Kategorie mit „Nicht genügend“abschließt, kann in die Polytechnische Schule gehen oder das letzte Jahr wiederholen.
Elternvertreter zufrieden
Eine größtenteils positive Bilanz zieht Monika Hillbrand, Vorsitzende des Landesverbands der Pflichtschul-Elternvereine in Vorarlberg, wo die Umstellung auf NMS am weitesten fortgeschritten ist. „Die Pädagogik hat sich verändert, neue Lehrformen wie das Teamteaching haben Einzug gehalten.“Allerdings sei in der Umsetzung nicht alles optimal gelaufen: So gebe es „fortbildungsresistente“Lehrer, bei denen man spüre, dass sich diese „zwangsverpflichtet“fühlten. In Summe habe sich das Bild „vom Lehrer als Einzelkämpfer“aber „in die positive Richtung verändert“.