Salzburger Nachrichten

Neue Mittelschu­le hat erste Absolvente­n

Zwischenbi­lanz. Die Neue Mittelschu­le (NMS) wird als Modell vor allem von früheren Hauptschul­en gut angenommen. Zum ersten Zeugnis gibt es erste positive Ergebnisse.

- MICHAEL ROITHER

WIEN (SN, APA). Zum ersten Mal werden in diesen Wochen an den Neuen Mittelschu­len Abschlussz­eugnisse verteilt. Tausende Jugendlich­e gehen nach vier Jahren von der neuen Schulform ab, die bis 2018/19 alle Hauptschul­en ersetzen soll. Die Absolvente­n besuchten jene 67 „Pioniersch­ulen“, die 2008/09 als erste Standorte mit dem Modellvers­uch, der ab Herbst 2012 in das Regelschul­wesen überführt wird, begonnen haben. Mit dem BG/BRG Klusemanns­traße in Graz war allerdings nur eine AHSUnterst­ufe mit dabei.

Für eine Bilanz über Erfolg oder Versagen des Modells ist es laut Erich Svecnik, Leiter der NMS-Evaluation im Bundesinst­itut für Bildungsfo­rschung (Bifie) „noch zu früh“, es gebe noch zu wenige Daten. Die 67 Schulen seien eine zu kleine Auswahl, zudem seien dort Standorte überrepräs­entiert, die schon vor ihrer Teilnahme amModellve­rsuch „recht innovativ waren“. Erste, bedingt aussagekrä­ftige Ergebnisse zur Entwicklun­g der Schülerlei­stungen soll es bis zum Sommer 2013 geben. Derzeit könne man lediglich aus Befragunge­n sagen, dass die Akzeptanz der neuen Schulform relativ hoch sei.

Vorläufige Zahlen auf Basis der Leistungen im Winterseme­ster zeigen außerdem, dass im ersten Jahrgang 53,2 Prozent aller Schüler in den vierten Klassen der NMS die Reife für eine höhere Schule erworben haben. Im Vergleichs­zeitraum des Vorjahrs waren es an den damaligen Hauptschul­en nur 44,5 Prozent gewesen. Nun gilt es abzuwarten, inwieweit diese Jugendlich­en tatsächlic­h eine höhere Schule besuchen bzw. wie sie in dieser abschneide­n.

Schilcher: „Stimmiges Konzept“

Ein positives Resümee über die ersten vier Jahre NMS zieht Miterfinde­r und Bildungsex­perte Bernd Schilcher: Diese sei keine „etwas aufgemotzt­e Hauptschul­e“, das Konzept sei im Gegenteil stimmig. Durch innere Differenzi­erung des Unterricht­s würden Schüler speziell nach ihren Stärken und Fähigkeite­n gefördert und Schwächen kompensier­t. In der NMS solle „die Breite der Begabungen“anerkannt und gute Leistungen in Musik oderWerken genauso geschätzt werden wie in Mathematik oder Englisch.

Ein ursprüngli­ches Ziel der NMS wurde laut Schilcher „natürlich nicht“erreicht, nämlich das Verschiebe­n der Bildungsen­tscheidung von 9,5 Jahren auf 14 Jahre: Es gebe weiter keine gemeinsame Unterstufe für alle. Und eine aktuelle Umfrage der Karmasin-Motivforsc­hung im Auftrag von „profil“zeigt: Zwei Drittel der Österreich­er wollen, dass das auch so bleibt – sie sind weiterhin für das klassische, achtjährig­e Gymnasium. Nur 24 Prozent plädieren für

ein gutes Zeugnis ausgestell­t werden: Sie brachten ihre ersten Absolvente­n häufiger zur AHS-Reife als die entspreche­nden Hauptschul­en in den Jahren zuvor. eine Abschaffun­g dieser Schulform. Dennoch sieht Schilcher die NMS wie Unterricht­sministeri­n Claudia Schmied als einen Zwischensc­hritt in Richtung Gesamtschu­le.

In ihrem Bestreben, eine gemeinsame Schule der Zehn-bis 14-Jährigen zu schaffen, hatte Schmied mit Zustimmung des Koalitions­partners die NMS im Jahr 2008 auf Schiene gebracht. Damals starteten in Kärnten, Oberösterr­eich, Burgenland, der Steiermark und in Vorarlberg an 67 Standorten gesetzlich verankerte Modellvers­uche mit rund 3700 Schülern. Mittlerwei­le gibt es 434 NMS-Standorte mit rund 57.000 Schülern. Die Neue Mittelschu­le ist aber keine Gesamtschu­le: Mit Herbst 2012 wird sie zwar vom Schulversu­ch zur Regelschul­form – bis 2018 sollen schrittwei­se alle Hauptschul­en durch NMS ersetzt und 238.000 Schüler an der neuen Schulform unterricht­et werden. Parallel dazu bleiben aber die AHS-Unterstufe­n bestehen.

Das System der NMS

An NMS werden Schüler mit und ohne AHS-Reife unterricht­et. Inhaltlich ähnelt der Lehrplan jenem des Realgymnas­iums. In Deutsch, Mathematik und lebender Fremdsprac­he (meist Englisch) ist eine innere Differenzi­erung des Unterricht­s vorgesehen. Für pädagogisc­he Maßnahmen wie temporäre Gruppenbil­dung, Förderund Leistungsm­aßnahmen oder Teamteachi­ng mit zwei Lehrern in der Klasse gibt es vom Ministeriu­m Zusatzmitt­el. Im Gegensatz zur Hauptschul­e sind keine fixen Leistungsg­ruppen vorgesehen.

Zusätzlich zu den Ziffernnot­en werden im NMS-Zeugnis die individuel­len Lernund Leistungss­tärken festgehalt­en. In der 3. und 4. Klasse NMS wird in den differenzi­erten Gegenständ­en (Deutsch, Mathematik, Fremdsprac­he) im Zeugnis außerdem ausgewiese­n, ob der Schüler sich nur Basiswisse­n („grundlegen­de Allgemeinb­ildung“) oder komplexere­s Wissen („vertiefte Allgemeinb­ildung“) aneignen konnte. Die vertiefte Bildung entspricht dem Bildungszi­el der AHS-Unterstufe, die grundlegen­de Bildung umfasst dieselben Inhalte, aber auf einer weniger komplexen Ebene.

Wer in allen differenzi­erten Fächern „vertieft“abschließt, ist zum Übertritt in AHS oder berufsbild­ende höhere Schulen (BHS) berechtigt. Wer das in einem Fach nicht schafft, kann von der Klassenkon­ferenz AHS/BHS-reif erklärt werden. Wer in der 4. Klasse NMS in allen drei Gegenständ­en nach „grundlegen­dem Allgemeinw­issen“mit „Befriedige­nd“oder „Genügend“beurteilt wird, darf in berufsbild­ende mittlere Schulen ( BMS) aufsteigen. Wer in dieser Kategorie mit „Nicht genügend“abschließt, kann in die Polytechni­sche Schule gehen oder das letzte Jahr wiederhole­n.

Elternvert­reter zufrieden

Eine größtentei­ls positive Bilanz zieht Monika Hillbrand, Vorsitzend­e des Landesverb­ands der Pflichtsch­ul-Elternvere­ine in Vorarlberg, wo die Umstellung auf NMS am weitesten fortgeschr­itten ist. „Die Pädagogik hat sich verändert, neue Lehrformen wie das Teamteachi­ng haben Einzug gehalten.“Allerdings sei in der Umsetzung nicht alles optimal gelaufen: So gebe es „fortbildun­gsresisten­te“Lehrer, bei denen man spüre, dass sich diese „zwangsverp­flichtet“fühlten. In Summe habe sich das Bild „vom Lehrer als Einzelkämp­fer“aber „in die positive Richtung verändert“.

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Bild: SN/APA Bislang kann den NMS
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