Mr. Beam startet
Celle – Kassel – Bonn überraschen mit ihrer Kunstund Kulturszene. Altes und Neues bilden einen gelungenen Spannungsbogen.
Wer hat die schönsten Beine im ganzen Land? Wettbewerbe um die attraktivsten österreichischen Männerbeine wurden bei uns in den 50er-Jahren ausgetragen. Ganz neu war der Gedanke nicht. Schon im 17. Jahrhundert legte man auf die strammen männlichen Wadeln großen Wert und brachte sie – der Mode der Barockzeit entsprechend – durch die Kniebundhose zur besonderen Geltung. Und wen die Natur diesbezüglich benachteiligt hatte, der half mit Push-ups nach. Francesco Maria Capellini verweigerte sich dieser schnöden Oberflächenkosmetik und zeigte ungeniert seine spindeldürren Beine, was ihm – dem aus Rimini eingewanderten Südländer – scherzhaft den Beinamen Stechinelli (italienisch: stecchino – Zahnstocher) einbrachte. Er hatte es nicht notwendig, sich durch die Erfüllung des Anspruchs irgendwelcher Schönheitsideale ins rechte Licht zu setzen. Er hatte mehr zu bieten. Der Betteljunge aus verarmtem italienischen Adel machte eine rasante Karriere, die in Celle am Hof des Welfenherzogs Georg Wilhelm begann, wo er Landdrost und somit Stellvertreter des Landesherren wurde, als Hofbankier viel Einfluss hatte und auch im Handel kräftig mitmischte. Das berühmte, sogenannte Stechinelli-Haus ist eines von den Gebäuden, die an ihn erinnern.
Celle besticht die Touristen mit seinen fast 500 wunderbar restaurierten und unter Denkmalschutz stehenden Fachwerkbauten. Besonders eindrucksvoll ist das 1532 erbaute Hoppenerhaus. Mit sechs Geschoßen, zahlreichen Schnitzereien, Ornamenten und Sprüchen ist es eine Fundgrube für jeden Architekturliebhaber.
Die prächtige Residenz der Welfenherzöge möchte heute nicht nur Mu- seum sein, sondern wird für zahlreiche Veranstaltungen genützt, und die Jugend trifft sich im weitläufigen Schlosspark.
Doch auch die Moderne kommt im bürgerlich geprägten Celle, der Juristenstadt, nicht zu kurz. Das erste 24Stunden-Museum mit moderner Kunst überrascht mit seinem Lichtspektakel, welches auch in der Nacht eine magische Wirkung entfaltet. Und die Bronzeplastiken des Franzosen Jean Ipoustéguy regen beim Flanieren durch die Altstadt zum Diskutieren und Nachdenken an: Auf dem ArnoSchmidt-Platz vor der Bibliothek sitzt sein lesendes Mädchen und macht Lust auf Bücher. „Ein Mann durchstößt die Pforte“versinnbildlicht mithilfe der griechischen Mythologie das Sterben und den Eintritt in den Hades.
Kassel ist im Speziellen durch die documenta – heuer findet sie zum 13. Mal statt – eine der besten Kunstadressen Europas. 100 Tage dauert die Megaschau der zeitgenössischen Kunst: Vielfalt, Kreativität, Kontraste, Auseinandersetzung, Provokation. Die documenta spiegelt den Zeitgeist wider. Ihr Angebot präsentiert sich in Gebäuden und unter freiem Himmel. Den Naturwissenschaften und der ihnen eigenen Kreativität wird viel Raum geboten. Österreich ist mit dem Physiker und Quantentheoretiker Anton Zeilinger, scherzhaft Mister Beam genannt, vertreten. Wird er es ermöglichen, dass wir uns in Zukunft an gewünschte Orte beamen können?
Einige Kunstwerke aus früheren Ausstellungen prägen das Stadtbild, am nachhaltigsten wohl Joseph Beuys’ 7000 Eichen, die von ihm nach dem Motto „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“gesetzt wurden. Die erste und die letzte der von Beuys gesetzten Eichen befindet sich vor dem Fridericianum, dem ursprünglichen Hauptausstellungsort der documenta.
Die Gegenwelt zu den Ansprüchen, die die moderne Kunst stellt, findet der verunsicherte Besucher bei Dornröschen, Rotkäppchen und Co. Der Stoff zu „Rapunzel“kam aus Neapel, der von „Rotkäppchen“aus Frankreich.
Da schlüpfte nämlich das freche Rotkäppchen zum Wolf unter die Decke. Die Fassungen waren simple, frivole Geschichten für Erwachsene, die von den Grimms auf einen anderen moralischen Stand gebracht wurden und eine neue literarische Qualität erlangten. Die Gebrüder Grimm veröffentlichten vor 200 Jahren die erste Ausgabe ihrer Sammlung der Kinder- und Hausmärchen. Im Museum sind die Notizen zur Erstausgabe unter Panzerglas, weil sie von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden.
Und wie hat sich Bonn entwickelt, seit es nicht mehr Bundeshauptstadt ist? Großartig, wenn man die Kunsthalle und ihre Highlights verfolgt. Derzeit beeindruckt eine Anselm-Kiefer-Ausstellung.
Romy Schneider – Fotos und Videos waren bis 24. Juni dort zu sehen. Sie sagt in einem Interview: „Das Leben ist spannend.“Die Kulturszene in Deutschland ist es auch. Infos: Deutsche Zentrale für Tourismus, www.germany.travel Ausstellungen: Kassel: documenta (13): 9. 6. bis 16. 9., d13.documenta.de; Bonn: Anselm-Kiefer-Bundeskunsthalle: 20. 6. bis 26. 9., www.bundeskunsthalle.de Hotels: Bonn: Steigenberger Grandhotel Petersberg, www.steigenberger.com/Bonn-Petersberg; Celle: Fürstenhof, www.fuerstenhof-celle.com