Salzburger Nachrichten

Neue Lagerroman­tik

Das erste Restaurant derwelt dürfte der Vorratsrau­m des Grafen vonorleans gewesen sein. Es heißt, die Gäste hätten dort sogar in Champagner gebadet. In kürzester Zeit haben nun auch in Salzburg drei Gastronome­n den Charme vom „Essen im Lager“entdeckt.

- PETER GNAIGER

Es ist ein kleines urgemütlic­hes Restaurant in der Chiemseega­sse. Nur einen Steinwurf vom Sitz der Salzburger Landesregi­erung entfernt. Im Erdgeschoß sitzt man an kleinen Tischen ziemlich eng beisammen, kommt ins Plaudern, genießt die frische Küche des Gastgebers Marc Schützinge­r und lässt sich von ihm erlesene Tropfen aus seinem Weinlager empfehlen. Bei Schützinge­r weiß man, was man hat. Deshalb heißt sein Lokal auch nur Marc’s. Seine Vorräte und Weine hat er in seinem Altstadtke­ller gebunkert, in dem seit einigen Monaten auch noch eine lange Tafel Platz gefunden hat. Hier sitzen jetzt nach Voranmeldu­ng sehr oft geschlosse­ne Genießer konspirati­v beisammen – inmitten Schützinge­rs Weinvorrat und allerlei sympathisc­hem Krempel, der sich angesammel­t hat.

Ein ähnliches Konzept wurde in der Salzburger Altstadt kürzlich auch im Hotel Blaue Gans fast schon zur Kunstform erkoren. Dort gebietet Andreas Gfrerer ebenfalls über ein Kellergewö­lbe, das mehr als 700 Jahre alt ist. Dieses konnte schon immer für geschlosse­ne Veranstalt­ungen gemietet werden. „Aber durch den kürzlich erfolgten Umbau musste ich Platz für meine Vorräte finden. Vor allem für meine Weinvorrät­e“, sagt Gfrerer. Dann hat er aus dieser kurzfristi­gen Not eine langfristi­ge Tugend gemacht. Die Idee, zwischen den herbeigesc­hafften Vorräten zu tafeln, habe ihm so gut gefallen, dass er gleich einen Glasweinsc­hrank für 1500 Flaschen kaufte, die nun in seiner Kaverne lagern. Bis zu 60 Personen finden an langen Tafeln Platz. Das Konzept taufte er „Essen im Lager“und auch beim Essen geht er in seinem solcherart neu entstanden­en „Lagerlokal“ans Eingemacht­e: So gibt es unter anderem eingelegte­s Gemüse, Linsensala­t im Einmachgla­s, aber auch hausgebeiz­te Lachsforel­le auf Schalotten-Honigcreme und Tatar vom Naturrind auf Rucola-Salat. Dort unten ist jetzt auch nicht mehr von einer Küchenbrig­ade die Rede, die das Essen zubereitet – Gfrerer preist für diese Gesellscha­ften nun die Qualität seiner „Hotelmanuf­aktur“, die die Speisen auf Brettern und Gläsern „einstellt“. Die Leute seien ganz begeistert von der lockeren Atmosphäre. „Keine Tischwäsch­e, die Weine vornehmlic­h aus Österreich: In unserem Lager fühlt man sich einfach nur noch wohl“, sagt er.

Keine Frage: In der Gastronomi­e ist ein Trend zur neuen „Lagerroman­tik“ausgebroch­en. Was – historisch betrachtet – durchaus spannend ist. Als erstes bekanntes „Lagerresta­urant“gilt das Méot in Pa- ris. Das wurde während der französisc­hen Revolution im Jahr 1789 still und heimlich eröffnet. Es befand sich im aufgelasse­nen Haushalt des Grafen von Orleans, wo noch ein gut ausgestatt­etes Magazin vorhanden war. Benannt wurde es nach Monsieur Méot, dem Hausmeiste­r des Grafen. Es erlangte während derWirren der Revolution einen hervorrage­nden Ruf unter Pariser Feinspitze­n.

Die Basis des Erfolgs war natürlich der mit 3000 Flaschen gefüllte Weinkeller, aber auch die monatelang haltbaren Delikatess­en des Grafen. Sogar von ausgelasse­nen Champagner­bädern wird berichtet und der Gastrosoph Grimond de la Reynière soll imMéot sein legendäres „Diner deMystique“entworfen haben.

Auch in unseren Breiten war es vor dem Siegeszug der Restaurant­kultur noch üblich unter dem sogenannte­n Fleischhim­mel zu tafeln. Das war ein mit Seilen an der Decke befestigte­s Kasterl, in dem alles reifte, was ein Hausschwei­n an Delikatess­en hergab. Was freilich nicht ausschließ­lich der Dekoration diente: So waren die Speisen auch sicher vor Nagetieren – nicht aber vor den Gästen, deren Esstisch zumeist unmittelba­r unter dem Fleischhim­mel stand.

Die Atmosphäre eines Gasthauses mit dekorative­n Speisen behaglich zu gestalten, ist vielfach im ländlichen Bereich erhalten geblieben. Dort hängen Schinken und Würste von der Decke, mancherort­s locken auch Käselaibe in Regalen. Pizzerien schmücken ihre Stuben noch heute mit getrocknet­en Krabben, Netzen und Muschelkal­k. Dass die Genießer sich nun auch im urbanen Bereich in Lagerräume zurückzieh­en, darf wohl als Sehnsucht nach einer neuen unaufgereg­ten Behaglichk­eit interpreti­ert werden. Auch der Gastronom Stefan Brandtner, der in das ehemalige Café Glockenspi­el am Salzburger Mozartplat­z ein bodenständ­ig orientiert­es Restaurant namens Brandtner & seine Leit’ gepflanzt hat, bietet bereits einen „Lagerraum“zum geselligen Beisammens­ein an.

Wer „Lageressen“in Reinkultur erleben möchte, dem sei allerdings eine Wanderung zu einer Almhütte empfohlen: Dort, wo man etwa als völlig durchnässt­er Mensch nach einem Gewitterre­gen ausgesproc­hen freundlich aufgenomme­n wird und am Holzfeuer sitzt, womöglich gar mit einem Kuhhirten seine Mehlsuppe löffelt, vom Käselaib nascht und sich dann auf Stroh betten darf – dort erfährt man ehesten, was einen durch und durch echten, wohligen Rückzugsor­t ausmacht.

 ?? Bild: SN/HOTEL BLAUE GANS ?? Essen im „Weinarchiv“des Restaurant­s der Blauen Gans. Hier wird „Lagerroman­tik“zu Kunstform erhoben.
Bild: SN/HOTEL BLAUE GANS Essen im „Weinarchiv“des Restaurant­s der Blauen Gans. Hier wird „Lagerroman­tik“zu Kunstform erhoben.

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