Neue Lagerromantik
Das erste Restaurant derwelt dürfte der Vorratsraum des Grafen vonorleans gewesen sein. Es heißt, die Gäste hätten dort sogar in Champagner gebadet. In kürzester Zeit haben nun auch in Salzburg drei Gastronomen den Charme vom „Essen im Lager“entdeckt.
Es ist ein kleines urgemütliches Restaurant in der Chiemseegasse. Nur einen Steinwurf vom Sitz der Salzburger Landesregierung entfernt. Im Erdgeschoß sitzt man an kleinen Tischen ziemlich eng beisammen, kommt ins Plaudern, genießt die frische Küche des Gastgebers Marc Schützinger und lässt sich von ihm erlesene Tropfen aus seinem Weinlager empfehlen. Bei Schützinger weiß man, was man hat. Deshalb heißt sein Lokal auch nur Marc’s. Seine Vorräte und Weine hat er in seinem Altstadtkeller gebunkert, in dem seit einigen Monaten auch noch eine lange Tafel Platz gefunden hat. Hier sitzen jetzt nach Voranmeldung sehr oft geschlossene Genießer konspirativ beisammen – inmitten Schützingers Weinvorrat und allerlei sympathischem Krempel, der sich angesammelt hat.
Ein ähnliches Konzept wurde in der Salzburger Altstadt kürzlich auch im Hotel Blaue Gans fast schon zur Kunstform erkoren. Dort gebietet Andreas Gfrerer ebenfalls über ein Kellergewölbe, das mehr als 700 Jahre alt ist. Dieses konnte schon immer für geschlossene Veranstaltungen gemietet werden. „Aber durch den kürzlich erfolgten Umbau musste ich Platz für meine Vorräte finden. Vor allem für meine Weinvorräte“, sagt Gfrerer. Dann hat er aus dieser kurzfristigen Not eine langfristige Tugend gemacht. Die Idee, zwischen den herbeigeschafften Vorräten zu tafeln, habe ihm so gut gefallen, dass er gleich einen Glasweinschrank für 1500 Flaschen kaufte, die nun in seiner Kaverne lagern. Bis zu 60 Personen finden an langen Tafeln Platz. Das Konzept taufte er „Essen im Lager“und auch beim Essen geht er in seinem solcherart neu entstandenen „Lagerlokal“ans Eingemachte: So gibt es unter anderem eingelegtes Gemüse, Linsensalat im Einmachglas, aber auch hausgebeizte Lachsforelle auf Schalotten-Honigcreme und Tatar vom Naturrind auf Rucola-Salat. Dort unten ist jetzt auch nicht mehr von einer Küchenbrigade die Rede, die das Essen zubereitet – Gfrerer preist für diese Gesellschaften nun die Qualität seiner „Hotelmanufaktur“, die die Speisen auf Brettern und Gläsern „einstellt“. Die Leute seien ganz begeistert von der lockeren Atmosphäre. „Keine Tischwäsche, die Weine vornehmlich aus Österreich: In unserem Lager fühlt man sich einfach nur noch wohl“, sagt er.
Keine Frage: In der Gastronomie ist ein Trend zur neuen „Lagerromantik“ausgebrochen. Was – historisch betrachtet – durchaus spannend ist. Als erstes bekanntes „Lagerrestaurant“gilt das Méot in Pa- ris. Das wurde während der französischen Revolution im Jahr 1789 still und heimlich eröffnet. Es befand sich im aufgelassenen Haushalt des Grafen von Orleans, wo noch ein gut ausgestattetes Magazin vorhanden war. Benannt wurde es nach Monsieur Méot, dem Hausmeister des Grafen. Es erlangte während derWirren der Revolution einen hervorragenden Ruf unter Pariser Feinspitzen.
Die Basis des Erfolgs war natürlich der mit 3000 Flaschen gefüllte Weinkeller, aber auch die monatelang haltbaren Delikatessen des Grafen. Sogar von ausgelassenen Champagnerbädern wird berichtet und der Gastrosoph Grimond de la Reynière soll imMéot sein legendäres „Diner deMystique“entworfen haben.
Auch in unseren Breiten war es vor dem Siegeszug der Restaurantkultur noch üblich unter dem sogenannten Fleischhimmel zu tafeln. Das war ein mit Seilen an der Decke befestigtes Kasterl, in dem alles reifte, was ein Hausschwein an Delikatessen hergab. Was freilich nicht ausschließlich der Dekoration diente: So waren die Speisen auch sicher vor Nagetieren – nicht aber vor den Gästen, deren Esstisch zumeist unmittelbar unter dem Fleischhimmel stand.
Die Atmosphäre eines Gasthauses mit dekorativen Speisen behaglich zu gestalten, ist vielfach im ländlichen Bereich erhalten geblieben. Dort hängen Schinken und Würste von der Decke, mancherorts locken auch Käselaibe in Regalen. Pizzerien schmücken ihre Stuben noch heute mit getrockneten Krabben, Netzen und Muschelkalk. Dass die Genießer sich nun auch im urbanen Bereich in Lagerräume zurückziehen, darf wohl als Sehnsucht nach einer neuen unaufgeregten Behaglichkeit interpretiert werden. Auch der Gastronom Stefan Brandtner, der in das ehemalige Café Glockenspiel am Salzburger Mozartplatz ein bodenständig orientiertes Restaurant namens Brandtner & seine Leit’ gepflanzt hat, bietet bereits einen „Lagerraum“zum geselligen Beisammensein an.
Wer „Lageressen“in Reinkultur erleben möchte, dem sei allerdings eine Wanderung zu einer Almhütte empfohlen: Dort, wo man etwa als völlig durchnässter Mensch nach einem Gewitterregen ausgesprochen freundlich aufgenommen wird und am Holzfeuer sitzt, womöglich gar mit einem Kuhhirten seine Mehlsuppe löffelt, vom Käselaib nascht und sich dann auf Stroh betten darf – dort erfährt man ehesten, was einen durch und durch echten, wohligen Rückzugsort ausmacht.