Salzburger Nachrichten

Mahlströme aus Müll Lebensraum für Wanzen

Plastik. Riesige Inseln aus zerriebene­m Abfall bilden künstliche Oberfläche­n. Gut für einewanzen­art, tödlich für viele Fische.

- DANIEL KESTENHOLZ

BANGKOK (SN). Sie heißt Nordpazifi­sche Subtropisc­he Konvergenz­zone – ein riesiges Gebiet im Pazifik, das von kreisenden Meeresströ­mungen geprägt ist. Abfall aus allen Erdteilen sammelt sich dort an und bildet mittlerwei­le riesige treibende „Abfallinse­ln“aus Plastik.

Ihre Anzahl allein im nordöstlic­hen Pazifik zwischen Hawaii und Kalifornie­n hat sich innerhalb der vergangene­n 40 Jahre verhundert­facht. Diese Inseln bestehen aus Abermillio­nen zersetzten Plastiktei­len. Nur die größeren, schweren Teile versinken. Der Rest treibt auf der Wasserober­fläche. Sonnenlich­t und Wellengang wirken wie Mahlsteine, die das Material zerkleiner­n.

Das amerikanis­che Scripps Institut für Ozeanograf­ie ging nun auf „Plastikfan­g“und verglich die neuen Ergebnisse mit früheren Daten. Dabei seien alle Befürchtun­gen noch weit übertroffe­n worden, berichtete Scripps-Forscherin Miriam Goldstein der BBC. „Eine derart immense Zunahme von Abfall vorzufinde­n war sehr überrasche­nd“, stellte sie fest.

Forscher prangern seit Langem die fatalen Folgen für Meerestier­e an, die das Plastik fressen und daran verenden. Doch ein anderer Teil des Ökosystem macht sich die Verschande­lung des Meers offenbar zunutze: Die Plastikfra­gmente erlauben es dem Halobates Seri- ceus, einem Verwandten des Teichwasse­rläufers, mitten im Ozean auf der Oberfläche der Müllinsel Eier zu legen. Gewöhnlich dienen den Meerwasser­läufern Federn, Ölklumpen oder auch Stücke von Bimsstein zur Eierablage. Dank der Abfallinse­ln leben so viele Halobates wie noch nie im Pazifische­n Ozean.

Erst habe man einen toxischen Effekt erwartet, der den gesamten Lebensraum vergifte, erzählte die Wissenscha­fterin. Doch für Halobates, eine 4,4 Millimeter große Wanzenart, erwies sich das Plastik als gute Sache. Die unvorstell­bareMenge von Abfall, die mitten im Ozean neue, feste Oberfläche­n entstehen lasse, nutze „flößenden Gemeinscha­ften“, sagte die Forscherin. Auch Krebse, Seeanemone­n und Polypen siedeln sich auf schwimmend­em Inseln der Neuzeit an, und gewisse Fischarten mögen es, unter einer Art Schutzdeck­e zu leben.

Im Nordatlant­ik treibt Seetang, der einer Fülle von Getier und Insekten als Lebensraum dient. Im Nordpazifi­k ist fester, treibender Lebensraum neu. „Plastik hat dem Pazifische­n Ozean feste Oberfläche­n gegeben. Das ist ein grundlegen­derWandel“, sagte Goldstein.

Damit sind die erfreulich­eren Aspekte der Symbiose zwischen menschlich­em Abfall undMeeresf­auna aber schon aufgezählt.

Einer weiteren Studie des Instituts zufolge weist jeder zehnte gefangene Fisch Plastikstü­cke im Magen auf. Nach Schätzunge­n verschling­en Fische allein im Nordpazifi­k jedes Jahr 12.000 bis 24.000 Tonnen Plastikabf­all.

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