Acht Schüsse und das Drama
Einsiedelei. Was mit einem Tv-auftritt bei Robert Lembke beginnt, endet mit einem tödlichen Sprung aus dem Zug. Dies ist die tragische Geschichte des Einsiedlers Karl Kurz.
SAALFELDEN (SN). Bis 1664 reicht die Geschichte der Einsiedelei in Saalfelden zurück.
Das aufsehenerregendste Kapitel in der Chronik der Klause wird zwischen 1969 und 1970 geschrieben. Endgültig fällt der Vorhang dieses Dramas erst am 31. Jänner 1977.
Jener Mann, der das genau protokollierte, heißt Franz Wieneroiter. Seine Biografie ist so bunt wie das Leben. Der Bäckermeister, spätere Gendarm, Journalist und Chronist wohnte in seiner Pension selbst für einige Jahre in der Eremitage knapp oberhalb von Schloss Lichtenberg. Als Einsiedler.
Er zeichnete die Geschichte der Klause und die ihrer Bewohner mit viel Liebe zum Detail auf. Auch jene von Karl Kurz. Der aus Göss bei Leoben stammende Kaufmann bezieht als Pensionist im Jahr 1967 die auf 1001 Metern Seehöhe liegende Einsiedelei. Er öffnet die Klause für Besucher. Am 30. Dezember 1969 ist Kurz zu Gast in Robert Lembkes heiterem TV-Beruferaten „Was bin ich“. Das löst im folgenden Sommer einen Gästeansturm aus – und ruft Neider auf den Plan.
Wieneroiter schreibt in seiner Chronik: „Am Sonntag, 27. September 1970, um 19 Uhr versperrt Karl Kurz die Klause und läutet mit dem Glöckchen das Ave-Maria.“Als er in der Wohnstube beim Gebet sitzt, peitschen Schüsse durch die Stille. „Ein Unbekannter hatte auf die Eingangstüre der Klause acht Schüsse abgefeuert. Die Projektile durchdrangen das Holz der Türe und schlugen im Inneren der Klause in Holz und Mauerwerk ein. Auch ein Fensterglas zersplitterte.“
Der Einsiedler schlägt per Glockengeläut Alarm. Ein Telefon gibt es nicht am Palfen. „Gendarmeriepostenkommandant Karl Reichinger schickt eilig eine Patrouille auf den Berg. Die Beamten treffen Kurz verwirrt und verängstigt in der Klause an.“Auf dem Fensterladen liegt ein handgeschriebener Zettel. Darauf steht: „Nur eine Warnung, später zu spät!“
Weitere Drohbriefe treffen ein. Bei der Gendarmerie. Im Pfarramt und im Gemeindeamt.
In einem heißt es: „Pfefferte auf die Klause, weil er beim Bezahlen der Besichtigungsgebühr um den Betrag von 20 Schilling von Karl Kurz betrogen worden ist.“
Am 2. Oktober 1970 bekommt Kurz eine Postkarte. Es werden ihm ein „Bauchschuss und zwei Dum-Dum-Geschosse in die Knie“angedroht.
Wieneroiter: „Kurz ist zu der Zeit schon sehr beunruhigt und zeitweise nicht mehr ansprechbar.“Die Ermittlungen verlaufen erfolglos. Kurz allerdings verstrickt sich bei Befragungen in Widersprüche. Er gerät in Verdacht, das Schussattentat selbst inszeniert zu haben, „um seiner Popularität einen neuen Schub zu geben“.
Am 15. Oktober 1970 erscheint Karl Kurz bei der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos. Unaufgefordert. Er bezichtigt sich selbst der Tat. Wieneroiter: „In seiner Verzweiflung denkt er, ein Geständnis kann die ganze Sache zu einem Ende bringen.“Er kündigt an, zurück in die Steiermark zu übersiedeln. Den Bart rasiert sich der Einsiedler ab. „Er verlässt Saalfelden als gebrochener Mann.“
Kurz wird am 11. November 1970 tot neben den Bahngeleisen in Raach aufgefunden. „Da er mehrere Abschiedsbriefe bei sich hat, geht man davon aus, dass er sich aus dem fahrenden Zug gestürzt hat.“
Auch nach dem Tod von Karl Kurz treffen bei der Gendarmerie Saalfelden anonyme Drohbriefe ein. „In einem steht, Kurz sei unschuldig verdächtigt worden. Als Beweis für die Richtigkeit der Angaben hinterlegt der Unbekannte in einem Opferstock der Einsiedelei-Kapelle acht Projektile. Sie werden am 7. Oktober 1972 gefunden.“Durch intensive Erhebungen in einem anderen Kriminalfall „kommt Bezirksinspektor Josef Eberharter auf die Spur eines in Maishofen wohnhaften Mannes.“Es stellt sich heraus, dass sich auch er seinerzeit als Eremit beworben hat. „Wegen seines kriminellen Vorlebens wurde er aber abgewiesen.“
Schriftvergleiche und das Gutachten eines Experten belegen eindeutig: „Die Briefe stammen vom Verdächtigen aus Maishofen. Bei seiner Vernehmung am 31. Jänner 1977 gibt er zu, die Drohbriefe geschrieben zu haben. Er gesteht auch, dass er am 27. September 1970 mehrere Pistolenschüsse auf die Türe der Einsiedelei abfeuerte. Er habe damit seine Wut gegen Kurz abreagiert.“Der Mann starb 1980.