Politiker radikalisieren unsere Sprache
Sprache und Extrem. In Finanzskandal und Heeresdebatte verschärfen Politiker die Sprache. Das ist keine zufällige, absichtslose Entgleisung.
SN: In welchen Situationen tritt Verbalradikalismus auf? Sailer-Wlasits: Meist dann, wenn es schwierig wird, wenn politische oder wirtschaftliche Spannungen zunehmen, wenn Mehrheitsverhältnisse nicht klar sind, typischerweise also in Wahlkämpfen. SN: Was sind andere Verbalradikalismen in der Innenpolitik? Sailer-Wlasits: Schauen Sie auf die Debatte über das Heer: Da werden Berufssoldaten als „Söldner“bezeichnet (von Vizekanzler Michael Spindelegger, ÖVP, Anm.). Da wird die allgemeine Wehrpflicht in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt (von Oberösterreichs stellv. Landeshauptmann Josef Ackerl, SPÖ).
Beide Vergleiche halte ich für unstatthaft. Das sind bewusste Übertretungen, bloß um seine politische Klientel wachzurütteln. SN: Könnten das Ausrutscher in einer hitzigen Debatte sein? Sailer-Wlasits: Kaum. Verbalradikalismus ist ein bewusstes, taktisches Übertreten des Bedeutungshorizonts. In der Regel wird das in den Kontext von Angstbildern und Bedrohungsszenarien gesetzt.
Verbalradikalismus entsteht vor dem Aussprechen, vor der Übertragung von Zeichen. Er ist die Intention, er ist das Vorhaben. Das passiert nicht zufällig.
SN: Gibt es weitere Beispiele? Sailer-Wlasits: Schauen Sie auf Termini, mit denen BZÖ und FPÖ operieren: Das BZÖ schreibt in eine Fotomontage für die Wahl 2013 „Kärnten befreien“und setzt dazu ein Bild aus dem Zweiten Weltkrieg, als US-Soldaten die USFlagge in Japan hissen.
Im Wahlkampf 2007 in Graz verwendete das BZÖ den Slogan „Wir säubern Graz“. Am Wort „säubern“hängen seit der NS-Zeit Der Wiener Philosoph und Politikwissenschafter Paul SailerWlasits widmet dem Verbalradikalsimus sein neues Buch. Darin erläutert er die Kulturgeschichte dieser Besonderheit von Macht und Sprache vomAlten Testament bis ins 20. Jahrhundert. SN: Was fällt Ihnen an der politischen Sprache im Salzburger Finanzskandal auf? Sailer-Wlasits: Da fällt mir Verschiedenes auf, etwa Wörter wie „Schattendepot“, „Schattenportfolio“und „Optimierungsportfolio“.
Und ein Satz vom stellvertretenden Landeshauptmann Wilfried Haslauer ragt heraus: „Mit der Bande hab ich nichts am Hut.“Das ist Verbalradikalismus. SN: Wie analysieren Sie einen Begriff wie „Schattendepot“? Sailer-Wlasits: Frei nach Brecht sage ich da: „Denn die einen sind im Schatten, und die andern sind im Licht, und man siehet die im Lichte, die im Schatten sieht man nicht“(aus Mackie Messers „Und der Haifisch, der hat Zähne“aus der „Dreigroschenoper“, Anm.).
Oder: Man holt etwas hervor, bevor es wieder ins Schattenreich hinabsinkt. Das erinnert mich an Friedrich Schillers Gedicht „Jüngling am Bache“(vertont von Franz Schubert). Da heißt es: „Sehnend breit’ ich meine Arme / nach dem teuren Schattenbild, / ach, ich kann es nicht erreichen / und das Herz bleibt ungestillt!“ SN: Was sagen Sie zu Wilfried Haslauers „Banden“-Satz? Sailer-Wlasits: Man sagt damit: Wir sind die Anständigen, die Vertrauenswürdigen, und dort ist die Bande. Damit wird rhetorisch Ausschließung praktiziert. Das ist typisch für Verbalradikalismus.
SN: Was ist Verbalradikalismus? Sailer-Wlasits: Das ist primär ein Phänomen der Sprache in der Politik. Es sind verzerrte, übertriebene Formulierungen, die in einem unauffälligen, respektvollen Diskurs mit einem neuen Kommunikationscode überraschen. Das ist wie ein falscher Ton in derMusik, wie eine plötzliche Störung.
Es ist ein sachlich unpräziser, emotionell aber treffender Sprechakt, in dem die Bedeutung von Worten übersteigert, zugespitzt oder umgewertet wird.
Verbalradikalismus weicht von der berichtenden, erklärenden Sprache ab. Da bricht das Archaische aus demWort hervor.
Das wird nie teilnahmslos zur Kenntnis genommen, sondern es bewegt, es verändert die Stimmung und das Denken. Bedeutungen wie „Genozid“, „rassische Säuberung“, „judenfrei“; und es erinnert an politische Säuberungen der Stalin-Zeit. Wer heute in der Politik dasWort „säubern“einsetzt, nimmt in Kauf, dass all dies mitgedacht wird, tut aber so, als ginge es um etwas Neutrales wie Aufräumen. SN: Wie ist Verbalradikalismus zu mäßigen oder zu verhindern? Sailer-Wlasits: Ich bin skeptisch, dass Aufrufe zur Mäßigung dauerhaft etwas bewirken. Verbalradi- kalismus wird auch in Zukunf die Rückseite der Sprachkultur sein.
Allerdings: Verbalradikalismus ist direkt proportional zu wirtschaftlicher oder politischer Spannung. Oft tritt er in Wellenbewegungen auf. Meist klingt er wieder ab, nur selten bleibt er auf dem hohen Niveau wie in Wahlkämpfen. SN: Bei welchenWorten von Politikern sollte man hellhörig sein? Sailer-Wlasits: Bei allen Begriffen, die Bedeutungen aus konstruierten wirtschaftlichen, religiösen oder fremdenfeindlichen Bedrohungen mit sich tragen, etwa dass Ausländer unsere Arbeitsplätze wegnehmen. Denn mit Bedrohungen werden Angstbilder erzeugt. SN: Wie ist das mit Wörtern wie Freiheit, Tugend, Solidarität und Transparenz? Sailer-Wlasits: Diese Begriffe werden gern umcodiert und verfälscht. Es wird „verschleiern“gemeint, und „Transparenz“gesagt.
Extreme Beispiele für das Umcodieren von „Freiheit“gibt die Französische Revolution. Dieser welthistorische Wendepunkt – der Beginn vom Ende der absoluten Monarchie – markiert den Siegeszug dieses Wortes. Doch in der Sprache jener blutigen Revolution, die die Demokratie gebiert, werden Begriffe umgewertet.
Unter dem Deckmantel der Verteidigung der jungen Republik wird mit „Freiheit“sogar Gewalt gerechtfertigt. Robespierre spricht vom „Krieg der Freiheit gegen ihre Feinde“. Ähnliches passiert mit „Tugend“: „Ohne den Terror ist die Tugend machtlos“, sagt Robespierre. Und die Institution des Despotismus heißt „Wohlfahrtsausschuss“. SN: Neigt Verbalradikalismus zum Verschleiern vonWahrheit? Sailer-Wlasits: Ja. Denn nicht die Wahrheit, sondern das für wahr Gehaltene setzt sich in der rhetorischen Debatte durch. Das war so im antiken Griechenland und am Forum Romanum wie in totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts.
SN: Geht das bis zur Lüge? Sailer-Wlasits: Ja, auch. Oft wird die Lüge als persönliche Meinung getarnt. Es ist ein rhetorischer Trick, die Unwahrheit als Abweichung von herrschender Meinung hinzustellen. Oft nehmen perfide Lügner zu diesem Zweck sogar das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch.
Und oft wird Verbalradikalismus in ein positives Kleid gehüllt. Jörg Haider war darin einMeister.
SN: Wie zum Beispiel? Sailer-Wlasits: Einmal sagte Jörg Haider: Was wir bräuchten, sei eine klare, ehrliche Rückbesinnung auf Tugenden wie Fleiß, Leistung, Arbeitsmoral, Disziplin und Ordnung. All das sind positive Termini, doch es gibt die tödliche Wirkung des sanften Wortes.
Auch hier wird Ausschließung praktiziert: Da sind wir, die Tugendhaften, dort die anderen. Das ist Schwarz-Weiß-Malerei. SN: In Ihrem Buch durchleuchten Sie die politische Sprache vom Alten Testament bis zum 20. Jahrhundert. Wann gab es Extreme? Sailer-Wlasits: Die größte Sprachkatastrophe mit den schrecklichsten Umwertungen fand im Nationalsozialismus statt. Da gelangte die Sprache in einen monströsen Würgegriff, sie wurde für menschenverachtende Propaganda verroht und deformiert.
Zum einen war da der brüllende Verbalradikalismus der Hetzreden von Joseph Goebbels und Adolf Hitler. Zum anderen waren da Tausende leise, subkutan umcodierte Wörter, die die Alltagssprache giftartig durchsetzt haben. Es ist in der Kulturgeschichte einmalig, wie in der NS-Zeit takti- scher, demagogischer, die Menschen herabwürdigender Wortmissbrauch praktiziert wurde. SN: Wie war der Verbalradikalismus im 20. Jahrhundert – außer in der NS-Zeit – in Österreich? Sailer-Wlasits: In der Ersten Republik war Träger des Verbalradikalismus primär die Linke, bis sie von den Nationalsozialisten negativ überflügelt wurde. Das zeigt sich im Linzer Programm der Sozialistischen Partei sowie in der Sprache rund um den Schattendorf-Prozess und den Brand des Justizpalastes 1927.
Nach dem ZweitenWeltkrieg ist die SPÖ sprachlich den sozialen Aufstieg der Arbeiter mitgegangen – hin zu gemäßigter, mehrheitsfähiger, bürgerlicher Sprache. Beide Großparteien, SPÖ wie ÖVP, tendieren zur gesellschaftlichen Mitte; das zeigt auch ihre durchwegs gemäßigte Sprache.
Seit dem Krieg hat sich in erster Linie die politische Rechte zum Träger des Verbalradikalismus gemacht. Da ihre Klientel für Deutschnationalismus kleiner wurde, hat sich ihre Sprache verlagert: zu Xenophobie, Ausländerfeindlichkeit und zentralismusfeindlichem Anti-EU-Vokabular. SN: Wie beurteilen Sie imAllgemeinen derzeit die Sprache der Politiker in Österreich? Sailer-Wlasits: Es gibt eine Tendenz: weg von der ideologischen Substanz eines Arguments und hin zu seinem Prestigepotenzial. Man arbeitet bewusst mit Simplifikation, Generalisierung und Stereotypen. Denn die Verkürzung ermöglicht Mehrdeutigkeit. Dem Schein nach werden Wahrheiten hervorgehoben. Doch tatsächlich wird versucht, dieMehrheit der Gesellschaft zur Zustimmung zu bringen, indem man Mehrdeutiges sagt oder Aussagen offen lässt.