Bis sie zurückgetreten werden
Ein Vergleich mit Deutschland macht deutlich: Die Amtsträger in Österreich sind beispiellose Sesselkleber.
Der Kärntner FPK-Landeshauptmann Gerhard Dörfler ist ein Sesselkleber, wie er im Buche steht. Trotz desaströser Wahlniederlage tritt er nicht von seinen Ämtern zurück, sondern wechselt in den Bundesrat (siehe Kasten). Dörfler ist nicht der Einzige, dem das Hemd näher als der Rock ist. Weder öffentlicher Druck noch Strafrechtsverfahren führen zwingend zu einem Ausscheiden aus dem Amt. Siehe dazu den ehemaligen FPK-Obmann Uwe Scheuch (verurteilt wegen Bestechlichkeit) oder den ehemaligen Kärntner ÖVP-Obmann Josef Martinz (nicht rechtskräftig verurteilt wegen Untreue).
Auf Bundesebene ist es nicht anders: So steht der Dritte Nationalratspräsident Martin Graf (FPÖ) seit Jahren unter Dauerbeschuss. Einerseits, weil er Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Olympia ist. Andererseits behauptet eine 90-Jährige, Graf habe sie übervorteilt, indem er sie zur Gründung einer Privatstiftung überredet habe. Und BZÖ-Abgeordneter Peter Westenthaler ist wegen falscher Zeugenaussage vorbestraft. Bei aller Kritik, sie blieben im Amt.
„Ich glaube, das hat mit der politischen Kultur zu tun. Es wird in Deutschland wegen vergleichsweise moderater Vergehen und schnell zurückgetreten“, erzählt die deutsche Politikwissenschafterin Katrin Auel, die am Wiener Institut für Höhere Studien (IHS) arbeitet. Entscheidend sei, ob die eigene Partei Rückhalt gewähre oder diesen entziehe – „dann führt an einem Rücktritt kein Weg vorbei“, betont Auel. Die Partei wiederum agiere nach klaren KostenNutzen-Regelungen: Welcher Schaden entsteht in der Öffentlichkeit? Bei skandalträchtigem Fehlverhalten mit entsprechen- dem Peinlichkeitsfaktor würden Konsequenzen sehr schnell gezogen. Auel nennt als Beispiele persönliche Bereicherung, Nazivergangenheit, Stasi-Vorwürfe oder auch Plagiate bei Doktorarbeiten.
Jörn Fischer, Rücktrittsforscher an der Universität zu Köln, argumentiert ähnlich wie seine Kollegin. „Die Parteien möchten Wahlen gewinnen. Wird der Betreffende zu einem Risiko für die Partei, erhöht sie den Druck und bewegt ihn zum Rücktritt.“Ihm sei kein Fall bekannt, bei dem sich in Deutschland jemals ein Minister einem Rücktritt entzogen habe mit der Begründung, die Wähler wollten das so. Ein Rücktritt aus freien Stücken, weil ein Minister ohne äußeren Druck höhere Maßstäbe an sich anlege, gehöre im Nachbarland zu den Ausnahmefällen. Sesselkleber gebe es auch in Deutschland, sagt Fischer. „Oft vergeht eine Menge Zeit zwischen dem Ereignis, das den Rücktritt begründet, und dem tatsächlichen Rücktritt.“Und weiter: „Die Stimmung in der Partei kann kippen, wenn die Stimmung in der Bevölkerung kippt.“
Freilich sind Spitzenpolitiker in Deutschland nach ihrem Aus- scheiden finanziell viel besser abgesichert als ihre Amtskollegen in Österreich. Ein ehemaliges Mitglied der dortigen Bundesregierung erhält mit Ende der Amtsbezüge „Übergangsgeld“. Dieses wird für mindestens sechsMonate und höchstens zwei Jahre ausbezahlt – abhängig von der Dauer in der Regierung. Bereits nach vier Jahren im Amt entsteht der Anspruch auf ein Ruhegeld.
Und Österreich? Die Ansprüche für Mitglieder der Regierung sind gestaffelt: ab sechs Monaten im Amt drei Monate Bezüge; ab einem Jahr im Amt sechs Monate Bezüge; ab drei Jahren im Amt maximal ein Jahr Bezüge. Nationalräte erhalten ab drei Jahren Tätigkeit als Volksvertreter eine einmalige Entschädigung. Wer 25 Jahre im Hohen Haus wirkte, bekommt bis zu einem Jahr „Abfertigung“.
Rücktrittsforscher Fischer würde Deutschland nicht als leuchtendes Beispiel in Sachen Rücktrittskultur bezeichnen – „aber im internationalen Vergleich steht das Land ganz gut da“. Und die Alpenrepublik? „Zu Österreich maße ich mir kein Urteil an. Da habe ich keine Daten erhoben.“