Im Land der begrenzten Möglichkeiten
Homo-ehe. Das Höchstgericht in den USA entscheidet über die Ehe: Soll sie ein Bund zwischen Mann und Frau bleiben?
WASHINGTON (SN). Das heißeste Ticket in der Stadt verschaffte am Dienstag Zugang zu der Zuschauertribüne des obersten Verfassungsgerichts. Bei nasskaltem Schnee-Regen-Wetter standen Aktivisten für und wider die volle Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Ehen stundenlang Schlange, um einen der 400 Plätze zu ergattern.
Während die meisten Augenzeugen im Fünf-Minuten-Takt rein und raus rotieren, gehören Jean Podrasky und ihre lesbische Partnerin zu den Glücklichen, die an beiden Tagen der Anhörung vor dem Supreme Court dabei sein dürfen. Jean hat das ihrem Cousin John Roberts zu verdanken, der dem Gericht vorsitzt.
Die Nachricht verbreitete sich unter den Aktivisten wie ein Lauffeuer. Deutete dies auf eine knappe Mehrheit für die Gleichstellung homosexueller Ehen in dem konservativen Gericht hin? „Ich weiß, dass John ein guter Mann ist“, gibt sich seine lesbische Cousine zuversichtlich. Er werde wei- se genug sein, den gesellschaftlichen Einstellungswandel zu verstehen „und die einfacheWahrheit zu erkennen, dass wir es verdienen, mit Würde, Respekt und Gleichheit vor dem Gesetz behandelt zu werden“.
Genau dieses Argument werden die Staranwälte Theodore Olson und David Boies vortragen, die im Namen zweier homosexueller Paare gegen ein Referendum in Kalifornien geklagt hatten. Gleichgeschlechtliche Paare konnten in Kalifornien zwischen Mai und November 2008 kurzzeitig heiraten, dann wurde in einem Referendum mit knapper Mehrheit die sogenannte Proposition 8 angenommen, welche die Ehe in einem Zusatz zur kalifornischen Verfassung als Bund zwischen Mann und Frau definierte. In einem Rechtsstreit durch die Instanzen erhielten zwei homosexuelle Paare zuletzt im Februar 2012 von einem Bundesberufungsgericht in San Francisco Recht. Nun muss der Supreme Court eine endgültige Entscheidung fällen.
Die Kläger wehren sich nicht nur gegen Diskriminierung, sondern fordern einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz ein. Die Reichweite dieser Entschei- berichtet für die SN aus den USA dung geht damit weit über Kalifornien hinaus, da rund zwei Drittel der US-Staaten Eheverbote in ihre Staatsverfassungen geschrieben haben.
Am Mittwoch wenden sich die neun Obersten Richter dann der Klage einer verwitweten lesbischen Frau gegen das Gesetz zur Verteidigung der Ehe (DOMA) von 1996 zu, das die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau festschreibt. Die Regelung hat zur Folge, dass nur heterosexuelle Ehepartner Vorteile bei Steuern, Erbschaften und Krankenversicherungen in Anspruch nehmen können. Im vergangenen Oktober urteilte ein Bundesberufungsgericht in New York, dass das Gesetz gegen das Diskriminierungsverbot verstoße. In beiden Fällen muss der Supreme Court seine Entscheidung bis Ende Juni vorlegen.
Clinton erklärte vor der Anhörung öffentlich, seine damalige Unterschrift unter das DOMAGesetz sei ein Fehler gewesen. Stattdessen macht sich der ehemalige Präsident nun wie Amtsinhaber Barack Obama für die Gleichstellung stark. Obama hatte vor der Wahl im November darüber gesprochen, wie sich seine Einstellung über die Jahre verändert habe.
Damit steht der Präsident nicht allein. Kaum ein anderes Thema erlebt einen so rasanten gesellschaftlichen Einstellungswandel wie dieses. Die Demoskopen stellen heute USA-weit eine klare Mehrheit für die Akzeptanz der Homo-Ehe fest. Vierzehn Prozent der Amerikaner sagen, sie hätten ihre Meinung diesbezüglich geändert und kein Problem mehr mit der Homo-Ehe. In Kalifornien selbst hätte das umstrittene Refe- rendum heute keine Chance mehr, angenommen zu werden.
Dass sich der konservative Anwalt Olson und der progressive Boies gemeinsam für die Rechte der Homosexuellen starkmachen, zeigt, wie wenig das Thema heute noch parteipolitisch beladen ist. Kürzlich erst trat der republikanische Senator aus Ohio, Robert Portman, an die Öffentlichkeit, um seinen schwulen Sohn zu unterstützen. Bei der Gelegenheit setzte sich der konservative Politiker für die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften ein. Diesen Wandel hatte vorher bereits der ehemalige Vizepräsident Dick Cheney vollzogen, dessen Tochter in Washington ihre lesbische Partnerin geheiratet hatte. Einer von insgesamt neun Bundesstaaten, die das erlauben.
Wesentlich zum Einstellungswandel beigetragen hat die breite Anerkennung wissenschaftlicher Erkenntnisse, wonach sexuelle Orientierung nicht eine freie Willensentscheidung, sondern angeboren ist. Wie die Farbe der Augen oder der Haut. Die Entscheidung des Supreme Courts wird deshalb als grundlegendes Urteil für andere Bürgerrechtsfragen verstanden.