„Früher war es sicher gemütlicher“
Jonas Kaufmann. Der Tenor ist ein weltweit begehrterwagnersänger – aber nicht nur. Im Sn-gespräch gibt es auch kritische Töne.
Nach dem „Parsifal“der Salzburger Osterfestspiele wird die Wagner-Oper an der Staatsoper Wien mit Spannung erwartet: Hier singt Jonas Kaufmann die Titelrolle. SN: Wie fühlt sich das an, einerseits bekennender Familienmensch und andererseits generationsübergreifender Frauenschwarm zu sein? Kaufmann: Wenn man das eine als rein beruflich betrachtet und das andere als rein privat, hat es nichts miteinander zu tun. Der Frauenschwarm bin ich nicht im Privaten, insofern lässt sich das schon vereinbaren. SN: Gestaltet sich dasWagnerJahr als Marathonbelastung für Ihre Stimme? Kaufmann: Ich singe ja nicht das ganze Jahr über Wagner. Es ist schon so: Wenn man einen Komponisten nennen müsste, bei dem die Gefahr am größten ist, dass man sich zu früh verausgabt, dann kann das nurWagner sein. Es liegt immer auch an einem selbst. Man muss aufpassen, wie viel man davon singt und welche Partie, ob sie einem in der Stimme liegt oder ob man sich selbst stimmlich verändern muss, um diese Partie überhaupt meistern zu können. Diese Veränderungen und Verstellungen können natürlich viel mehr belasten, als wenn man einfach mit der Stimme singt, die man hat. Dann kommt es auf die Mischung und Menge an. Also wenn ich das geschickt mache und zwischendurch andere Partien singe, die wiederum ganz andere Qualitäten von der Stimme verlangen, dann laufe ich nicht Gefahr, mich zu übernehmen, im Gegenteil: Eine gute Mischung ist für meine Begriffe Teil der Stimmpflege. SN: EineWagner-CD (SN 15. 2.) musste heuer natürlich sein. Kaufmann: Es war nicht so, dass ich mich dazu gezwungen fühlte, es hat mir einfach viel Spaß gemacht. Und genauso gut kann ich relativ frei wählen, welches Repertoire auf eine Platte kommt. Bisher habe ich mich nie auf einen einzelnen Komponisten festgelegt, sondern immer nur Bereiche abgedeckt, also italienisches oder deutsches Fach. SN: Bei Siegmunds „Schwert-Monolog“gibt es einen legendären „Wälse“-Schrei von Lauritz Melchior, der gar nicht mehr aufhört. Wollten Sie den Rekord brechen, Ihr Schrei ist auch nicht ohne? Kaufmann: Melchiors Aufnahmen sind schon eine Herausforderung; aber es stand bei meiner Aufnahme niemand mit der Stoppuhr daneben. Es geht darum, die Situation des Siegmund zum Ausdruck zu bringen. Diese „Wälse“-Rufe, die aus ihm herausbrechen, sind Ausdruck schierer Verzweiflung. Und wenn man das nachfühlt, dann sind sie in dieser Länge legitim. Wenn man aber nur einen Vorwand braucht, um zu sagen „Meiner ist länger“– dann sollte man sich besser ein anderes Stück suchen. SN: Zu Wien: Sie sangen an der Staatsoper u. a. Tamino, Cavaradossi, Werther, Faust. Parsifal ist neu. Wie finden Sie sich zurecht? Kaufmann: Es ist auch die erste Wagner-Partie, die ich hier singe. Man findet sich in jeder Produktion zurecht. Ich versuche allem, was ich mache, einen gewissen Sinn zu geben und auch einen eigenen individuellen Stempel aufzudrücken. Und das ist, je nach Produktion, mal recht einfach und mal ziemlich schwierig. SN: Was schätzen Sie an dieser Inszenierung von Christine Mielitz? Kaufmann: Sie ist ungewöhnlich, ganz anders als viele andere Produktionen, die ich kenne. Was ich vermisse, ist ein Grundvertrauen in die Kraft derMusik. SN: Die Inszenierung an der Met (François Girard), die jüngst im Kino lief, war auch völlig anders. Kaufmann: Die spielt auch in einer anderen Welt, ob das nun ein anderer Stern ist oder eine postapokalyptische Erde oder was immer. Das ist ja völlig egal. Beim Kundry-Akt gab es verschiedene Interpretationen. Die einen haben eher eine sexuelle Anspielung gesehen in dieser Felsspalte. Die Idee des Regisseurs ist auch nicht so einfach nachzuvollziehen. Für ihn ist das die Wunde des Amfortas, in der der ganze zweite Akt spielt. Fürmich würde es dann bedeuten, dass die Blumenmädchen Bakterien sind und ich das Antibiotikum bin. Also ich weiß nicht, wie das dann funktioniert. Ich finde aber, es ist ein schönes Bild, was auch immer es sein mag. SN: Sie haben viel an Regietheater erlebt. Über den Beinahe-Skandal rund um Stefan Herheims Salzburger „Entführung“wurde viel geschrieben. Glauben Sie, das könnte man heutzutage zeigen und erntete andere Reaktionen? Kann sich auch ein Publikum ändern? Kaufmann: Meinen Sie in Salzburg? Das ist schon ein spezielles Publikum, das im Sommer zu den Festspielen kommt. Bei aller Liebe zur Freiheit der Kunst sollte man schon daran denken, dass wir Künstler im darstellenden Gewer- be tätig sind und letztlich diese Kunst auch verkaufen müssen. Herheims „Entführung“würde auch heute noch auffallen, keine Frage. Ich denke aber, der Zenit des Regietheaters, von den Amerikanern so lapidar „Eurotrash“genannt, ist in den 1990er-Jahren gewesen. Davon sind wir längst wieder abgekommen, denke ich. SN: Erinnern Sie sich an Ihre ersten Salzburg-Auftritte? Der noch unbekannte Jonas Kaufmann, Zweitbesetzung als Tamino im Landestheater. War das Leben damals gemütlicher? Kaufmann: Die haben damals nur eine Zweitbesetzung gesucht, als ich vorgesungen habe. Gemütlicher war’s sicher. Es gibt immer wiederMomente, wo ich mich mit Freuden an diese Zeiten zurückerinnere. An die Zeiten, wo eigentlich gar nichts von einem erwartet wurde. Man konnte nur positiv überraschen. Aber man schiebt halt seine eigeneMesslatte immer höher und höher, irgendwann ist die so weit oben, dass man sich wirklich bemühen muss, die Erwartungshaltung weiter zu erfüllen. Gar nicht zu reden von der Freizeit, die ich damals noch hatte! SN: Jetzt pendeln Sie zwischen New York und dem Rest der Erde, wie schaffen Sie allein den Jetlag? Kaufmann: Zum Glück habe ich überhaupt kein Problem mit dem Jetlag. Als junger Mensch bin ich ja öfters im Morgengrauen nach Hause gekommen und habe den ganzen Tag über geschlafen, das hat mich ja auch nie gestört. Insofern sehe ich das Thema Jetlag ziemlich gelassen. SN: Vor Kurzem übertrug die Met aus New York „Parsifal“mit Ihnen live in die Kinos, wie gefällt Ihnen das? Kaufmann: Ich find’s faszinierend. Ich muss wirklich sagen, bevor ich das gesehen hatte, konnte ich mir nicht denken, dass das etwas Besonderes ist. Für mich war Oper im Fernsehen eher ein schwieriges Thema: Da gibt es einen Regisseur, der dem Zuschauer vorschreibt, welche Figur oder Perspektive er grad sehen möchte. Gerade bei Opern, die ich gut kenne, hat mich das immer aufgeregt. Aber bei den Kino-Übertra- gungen aus der Met machen sie das ungeheuer geschickt. Allein die Kamerafahrten sind ein Gedicht. Wie in einem Film, als wenn das alles in soundso vielen Drehtagen produziert worden wäre. Dabei ist es live! Das ist schon auf einem ungeheuren Niveau. Und da kann ich auch verstehen, warum das immer mehr Erfolg hat. SN: Stört es Sie nicht, dass man in die Nasenlöcher schauen kann? Kaufmann: Extreme Close-ups können schon desillusionierend sein, weil man beim Singen nicht immer das schönste Gesicht macht. Andererseits finden es manche Zuschauer gerade gut, wenn man da auch die Anstrengung sieht und weiß, welche Arbeit dahintersteckt und dass es einem nicht nur in den Schoß fällt. Bei einer Produktion wie „Parsifal“beispielsweise, die über fünf Stunden dauert, ist es schon anstrengend, wenn man da weiß, dass einen der Big Brother jederzeit beobachtet – vor allem weil Parsifal über weite Strecken keinen Ton von sich gibt, sondern nur als stummer Zeuge auf der Bühne ist. Und trotzdem muss man jede Sekunde in der Rolle sein. SN: Wussten Sie, dass Sie derzeit 30.000 Fans auf Facebook haben? Kaufmann: Ich schau da nicht so auf diese Zahlen. SN: Auf Facebook gibt es auch eine Art Klagemauer, wo Künstler ihre schlechten Erfahrungen über Gagen, Engagements, Theater etc. abladen können. Kaufmann: Habe ich bisher nicht mitgekriegt. SN: Als die Opernsängerin Elisabeth Kulman dazukam und ihren Salzburger Festspielvertrag offenlegte, kam Aufruhr in die Seite. Sie wies u. a. darauf hin, dass sie in Salzburg die Probenzeit nicht bezahlt bekomme und nichts für die (verkaufte) Generalprobe. Intendant Alexander Pereira hat das bestätigt. Kaufmann: Nur weil jetzt Salzburg als Beispiel erwähnt wurde: Das ist völlig normal. Wenn ich krank werde, kriege ich nichts. Ich probe sechs Wochen, habe dann sechs Aufführungen. Und wenn ich keine davon machen kann, dann gehe ich nach acht Wochen ohne einen Cent nach Hause.
Was noch hinzukommt: Steuerlich gesehen ist es keine selbstständige Tätigkeit. Da müsste man eigentlich das Finanzamt fragen: Zahlt ihr mir dann die Gage, wenn ich krank werde? Für mich ist ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis eines, in dem ich auch weiter bezahlt werde, wenn ich krank werde. Das ist aber bei uns nicht der Fall. Deshalb ist unser Status für mich eindeutig selbstständig. Hinweis: Das gesamte Interview lesen Sie in der Online-Ausgabe der „Salzburger Nachrichten“, www.salzburg.com