Ostern in Baden-baden.
Aus Salzburg sind die Berliner Philharmoniker abgewandert. Im Südwesten Deutschlands suchen sie Heimat.
Pavol Breslik (Tamino) hält Mozarts unvergängliches Zauberinstrument hoch, und die Berliner Philharmoniker machen die Musik. BADEN-BADEN (SN). Einer fehlt – der Lenz. Nach Frühlingsblüten und -farben muss man dieser Tage auch im Südwesten Deutschlands suchen. Das österliche Aufblühen der gesamten Stadt, das der Baden-Badener Festspielhaus-Intendant Andreas Mölich-Zebhauser noch vor wenigenMonaten für seine neuen Osterfestspiele versprochen hatte, findet temperaturbedingt kaum statt. Selbst die kleinen japanischen Zierkirschbäume vor dem Portal desMusentempels zeigen nur zarte Knospen.
Da sind die Plakate in der gesamten Kurstadt, auf denen in bonbonrosafarbenen Lettern „Willkommen zu Hause, Berliner Philharmoniker“steht, ein echter Farbtupfer. Und ein Bekenntnis obendrein. Baden-Baden will eines ganz klarmachen: dass der Luxusklangkörper aus der deutschen Hauptstadt künftig der seine ist. Und das mehr als eineWoche lang – auf der Bühne, bei Meisterkur- sen, Kammerkonzerten, einem großen Musikfest. Und natürlich auch im Orchestergraben. 30.000 Besucher, nahezu alles ausverkauft – die wirtschaftliche Bilanz stimmt.
Insofern steckt im Auftakt zu Robert Carsens Deutung von Mozarts „Zauberflöte“schon mehrfache Symbolik. Zur Ouverture lässt er Menschen vom Stamme Wiedu-und-ich durch den Zuschauerraum einziehen. Schaut auf dieses Orchester! Da umlagern sie dann den Orchestergraben, nachdem Simon Rattle und die mit knapp vierzig Musikern spielenden Berliner Philharmoniker mit den berühmten drei Sforzato-Schlägen sozusagen den Initiationsritus des neuen Festivals vollzogen haben – mit bemerkenswerten Klangfarben, -schattierungen und dynamischen Raffinessen.
Carsens „Zauberflöte“ist solides Regiehandwerk, sie sucht dem Wurstlprater-Witz im Stück ebenso gerecht zu werden wie seinem philosophischen Gedankengut. Die Ebenen Natur – symbolisiert durch einen Laubwald im Jahreskreislauf –, Leben und Tod sind zentrale Elemente seiner Arbeit, gerade auf Letzteren fokussiert sich sein Blick: Das Durchschreiten der Prüfungen gleicht jenem des Hades, derWeg ist gepflastert mit Särgen.
Einen schlüssigen Ansatz bleibt der Kanadier letztlich doch schuldig; und dass aus Sarastro und der Königin der Nacht zwischenzeitlich ein Paar werden soll, will auch in dieser Inszenierung nicht richtig einleuchten.
Etwas anderes dagegen schon: So sehr sich die Berliner Philharmoniker diese neuen Festspiele mit mehr Opernaufführungen – vier an der Zahl – gewünscht haben, so sehr brauchen sie sie wohl auch: Am Premierenabend überraschen dann doch viele Unstim- migkeiten und Wackler zwischen Graben und Bühne, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sir Simon Rattle Mozarts Opus summum am liebsten rein orchestral aufführen würde. Doch trotz extrem zerdehnter Tempi klingt es kammermusikalisch delikat, fein ziseliert.
Vokal dagegen bietet der Abend außer Michael Nagys AusnahmePapageno eher gehobenen Durchschnitt – bei Pavol Breslik (Tamino), Kate Royal (Pamina), Dimitry Ivashchenko (Sarastro) und der für die erkrankte Simone Kermes eingesprungenen Ana Durlovski (Königin der Nacht).
Es steht eben doch vor allem das Orchester bei diesem neuen Festival im Zentrum. Mit Mahlers Auferstehungssymphonie knüpfen Rattle und die Berliner an das Format ihrer CD von 2010 an, die hohe Plastizität der Interpretation suggeriert Dreidimensionalität im Klang. Und beim Abend mit dem Dirigenten Andris Nelsons zeigt sich, wie phänomenal das Orchester Wagner, Debussy und Ravel spielen kann. Dafür steht auch die fabelhafte Leitung des jungen Letten, der längst zum heißen Anwärter auf die Rattle-Nachfolge avanciert ist. Möglich, dass das neue Festival zumindest hier ein deutliches Zukunftssignal setzt.