Grönland.
Mit Hubert von Goisern als Beobachter drehte der Salzburger Regisseur Chrisweisz eine bemerkenswerte Doku über das Untergehen des Lebens in Ostgrönland.
SALZBURG, TASIILAQ (SN). Hubert von Goisern knetet seine Finger. Kameramann Hennig Brümmer reibt seine Hände. Mit kalten Händen lassen sich weder Ziehharmonika noch Kamera bewegen. Und es ist kalt. Das ändert auch die Sonne nicht. Der Wind weht gerade so leicht über die kilometerlange Eisfläche, dass es sticht auf der Haut. Regisseur Chris Weisz hat es besser. Seine Hände stecken in Handschuhen und die in der Jackentasche. „Wir machen das noch einmal“, sagt er. Der Klang der Ziehharmonika geht hinaus in die Einsamkeit grönländischen Eises, bleibt einzig menschliches Zeichen im weißen Raum, der Menschen verschluckt. „Der Hubert ist ein Einzelfall, ein Findling“, sagt Robert Peroni. Er selbst ist auch so einer. Seit 1983 lebt der gebürtige Südtiroler in Tasiilaq in Ostgrönland. Er betreibt ein kleines Hotel, in dem er nur Einheimische anstellt. Einst durchquerte er die Insel als Erster zu Fuß. Er blieb hängen, weil er etwas tun wollte für ein Volk am Rand des Untergangs.
Inuit-Kultur des Jagens
Und was heißt schon Volk? 3500 Menschen leben in Ostgrönland entlang von 20.000 Küstenkilometern. Sie haben eine eigene Sprache und eine jahrtausendealte Kultur des Jagens – beides, und damit die Identität der Menschen, ist vom Aussterben bedroht.
Hubert von Goisern folgte einer Einladung Peronis nach Tasiilaq. Weisz und sein Team begleiteten ihn. Das war Ende März 2012, also genau vor einem Jahr. Nun ist die Dokumentation über diese Expedition fertig. Am Karfreitag wird „Gegen die Stille“bei Servus TV ausgestrahlt. „Grönland – das ist organisatorisch ein bisschen so wie Afrika im Eis“, sagt Weisz.
Er drehte schon zwei Dokumentationen über den Goiserer.
Kulusuk in Grönland.
Kameramann Hennig Brümmer, Hubert von Goisern und Regisseur Chris Weisz Er war 2011 bei der „Wirtshaustour“dabei und auch einen Film über die „Brenna tuats“-Tour im vergangenen Jahr machte er. Da stand jeweils der Musiker Hubert von Goisern im Zentrum. Dieses Mal taucht – wie einst bei dem Film „Warten auf Timbuktu“– der beobachtende weltreisende Goiserer auf.
Weisz zeigt, wie sich der Goiserer Menschen nähert, die unter extremen Bedingungen leben, einerseits von der Natur bestimmt, anderseits beeinflusst von einer per Satellit und dänischer Sozialhilfe angekommenen neuen Zeit, die mit alten Traditionen schwer kompatibel ist.
In Ostgrönland stirbt die alte Inuit-Kultur des Jagens. Der Klimawandel lässt das Eis später kommen und früher schmelzen. Das erschwert die Jagd über die Fjorde. „Für mich als Jäger in diesem Gebiet der Welt ist die Natur der Chef“, erzählt Julius Ignatiussen im Gespräch mit dem Goiserer. Gleichzeitig gibt es international Jagd- und Fischfangabkommen, die zwar gut gemeint sind, aber an der Lebensrealität in Grönland vorbeigehen. Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, eine enorme Selbstmordrate sind Folgen. Manche hoffen auch auf den Klimawandel, weil er das Eis wegschmilzt, unter dem jede Menge Rohstoffe liegen. „Dann wird es keine Jäger mehr geben, sondern Arbeiter“, sagt Ignatiussen. Abends locken die bunten Verheißungen aus aller Welt vor das TV-Kastl. Draußen aber herrscht Dunkelheit und Ungewissheit. Oder Spieldrang, bei dem jedenfalls der Temperaturunterschied der Zivilisationen bemerkbar wird. Im Dorf Semiligap, 200 Einwohner, 100 Schlittenhunde, nur per Schiff, Schlitten oder Hubschrauer erreichbar, spielt die Filmcrew nachts unter dem Polar- licht mit den Kindern Fußball auf dem Eis. Die Kinder in Sweatshirts, die Gäste in Funktionskleidung.
„Die Probleme sind so komplex, dass sie sich nicht einfach erzählen lassen werden“, sagte Weisz beim Dreh in Grönland. Er macht in „Gegen die Stille“die Probleme gut anschaulich. Dabei rutscht er niemals in den Ton von Betroffenheit, denn seine Erzähler, der Goiserer und immer wieder auch Pe- roni, sind wache, nüchterne Beobachter.
Dem Goiserer ist sein Staunen über das Erlebte durchaus anzumerken. „Ich möchte gern die Unglaublichkeit begreifen, dass sich an einem Platz wie diesem vor vielen Tausend Jahren freiwillig Menschen angesiedelt haben“, sagt er. Diesem Rätsel auf die Spur zu kommen ist schwer, denn die Menschen sind verschlossen. Umso bemerkenswerter ist die Offenheit, mit der manche im Gespräch mit dem Goiserer erzählen. „Man muss sich auf die Menschen einlassen und sich auch auf sie verlassen – und das kann man hier zu 100 Prozent“, sagt Weisz über eine Hilfsbereitschaft, die er nie sonst wo erlebt habe.
Trotz allen Dilemmas, dem man in Ostgrönland begegnet, erliegt der Film niemals der Versuchung eines westlich geprägten sozialromantischen Blicks, der gerade bei Dokumentationen über das Leben am mystischen Ende der Welt so oft nervt, „Gegen die Stille“ist ein Blick in eine vergessene Welt. Ruhig wird das Leben beobachtet. Und so erfüllt der Film seinen Titel: Eine Region am Rand der Zivilisation und am Rand dessen, was menschliches Leben aushalten kann, wird aus der Stille des Vergessens geholt. Sendetermin am Freitag um 21.15 Uhr auf Servus TV.
(v.
l.) auf der Insel