Als der Geist im Feuer verloren ging
Salzburger Bücherverbrennung. Auch der Historiker Oliver Rathkolb findet das Ereignis vor 75 Jahren „rätselhaft“.
SALZBURG (SN). Seit Menschen Bücher herstellen, werden Bücher aus ideologisch oder religiös motiviertem Hass vernichtet oder verbrannt. Bücher brannten in der katholischen Inquisition, bei Protesten von Protestanten und in der Französischen Revolution. Auch in den USA gibt es dazu eine unrühmliche Tradition, beginnend 1650 in Boston bis zur „Kommunistenhatz“von Senator Joseph McCarthy.
Unter den zahllosen Bücherverbrennungen war eine außergewöhnlich: Jene am 30. April 1938 in Salzburg. Die SN befragten dazu den Historiker Oliver Rathkolb. Er wird nächste Woche eine „Salzburger Vorlesung“darüber halten, als Auftakt für eine Reihe von Gedenkveranstaltungen. Rathkolb: Eine Bücherverbrennung diente zum Aufbau einer neuen Gegen-Elite. Daher waren es meist Studenten, die 1933 in vielen deutschen Städten Bücher verbrannten. Joseph Goebbels (NS-Propagandaminister, Anm.) verkündete bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin: Jetzt komme eine neue Elite! Das war ein Signal an die Jugend: Jetzt müsst ihr etwas Neues dagegensetzen. SN: Wofür sonst steht das öffentliche Verbrennen von Büchern? Rathkolb: Zum einen werden damit Autorinnen und Autoren bestraft. Das beginnt mit Folter und endet mit Vernichtung – vorerst nicht physisch, sondern intellektuell. Weiters sollte ausgelöscht werden, was Joseph Goebbels als „undeutsches Gedankengut“bezeichnet hatte. Zudem hat so eine Bücherverbrennung etwas Pseu- doreligiöses. Mit einer derart inszenierten Verbrennung sollte eine neue „Volksgemeinschaft“geschaffen werden. SN: War imApril 1938 auf dem Residenzplatz eine von vielen Bücherverbrennungen? Rathkolb: Salzburg ist nach wie vor ein Rätsel. In Deutschland war dieser Spuk im öffentlichen Raum seit 1933 vorbei. Es wurden dort zwar weiterhin Bücher ver- nichtet, und es gab Listen verbotenen Schrifttums. Doch öffentliche Vernichtungen waren passé. SN: Warum ist es rätselhaft, dass kurz nach dem „Anschluss“nachgeahmt wurde, was zu Beginn der NS-Herrschaft in Deutschland inszeniert worden war? Rathkolb: Die NS-Propaganda hat zu diesem Zeitpunkt öffentliche Bücherverbrennungen längst nicht mehr unterstützt. Ansonsten wäre davon sofort auf der ersten Seite des „Völkischen Beobachters“berichtet worden. Doch in Zeitungen stand wenig davon.
SN: Wieso nicht? Rathkolb: Nach ähnlichen Aktionen in deutschen Städten 1933 war das internationale Presseecho derart schlecht, dass die NS-Propaganda sich ab dann zurückhielt. Etwas Ähnliches ist bei den symbolischen Pogromen an den Juden in Wien zu beobachten: Auch davon wollte man keine Bilder in Medien.
SN: Woher kamen diese Bücher? Rathkolb: Karl Müller, Gert Kerschbaumer, Ernst Hanisch und andere haben versucht, das zu rekonstruieren, doch es gibt kaum Zeitungsberichte oder andere SN: Warum war in Salzburg die einzige Bücherverbrennung im heutigen Österreich? Rathkolb: Das dürfte mit der lokalen Szene und Karl Springenschmid, SS-Mann, Lehrer und Schriftsteller, zusammenhängen. Ein weiterer Grund dafür ist die Grenzlage. SN: Welche Bücher wurden in Salzburg verbrannt? Rathkolb: So wie 1933 die Bücher all jener, die der „deutschen Volksgemeinschaft“nicht angehören durften, also von Juden und politischen Gegnern. Während 1933 in Deutschland noch Sozialisten, Kommunisten und einige unabhängige Bürgerliche als Gegner galten, waren in Salzburg auch die Christlichsozialen des Schuschnigg-Regimes dabei. So landeten Bücher Kurt Schuschniggs, aber auch Otto Habsburgs auf dem Salzburger Scheiterhaufen. Es ging also auch um die Vernichtung der Eliten des ehemaligen imperialen und autoritären Österreichs. Quellen. Offenbar war es eine Sammelaktion der Hitlerjugend in Privatbibliotheken und möglicherweise Leihbüchereien unter Anleitung des NS-Lehrerbundes. Allerdings: Aus der Salzburger Studienbibliothek, der heutigen Universitätsbibliothek, wurde kein Buch verbrannt. Es gab – auch in Deutschland – Bibliotheken, die Bücher nicht wie angeordnet vernichteten, sondern wegsperrten. SN: Ist es in einer Demokratie zulässig, Bücher zu verbieten? Rathkolb: Das ist eine schwierige Frage! Im Idealfall würde ich sagen: Es muss alles offen und zugänglich sein. Denn Bücherverbote sind ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit. Doch vor dem Hintergrund eines neuen Rechtsradikalismus, auch der jüngsten Attentate in den USA oder deutscher Neonazis, sehe ich das vorsichtig. Ich plädiere für sehr vereinzelte Beschränkungen, etwa in Neonazi-Literatur und in allem, was den Nationalsozialismus verherrlicht. Allerdings: „Mein Kampf“ist viel interessanter, wenn er verboten ist. Vorlesung. Oliver Rathkolb, „Salzburger Vorlesung über ,Ein Fest der Martern – Nationalsozialistische Bücherverbrennungen als symbolische Politik‘“, 29. April, 19 Uhr, Universität, im Hörsaal 230, Kapitelgasse 4. SN: Haben Bücherverbrennungen noch Zukunft? Rathkolb: Leider ja. Viele Beispiele zeigen das, wobei derzeit eher nationale Symbole wie Fahnen oder Politikerpuppen verbrannt werden. Die Inszenierungen sind anders, doch die Ziele sind ähnlich.