Salzburger Nachrichten

Gedanken-polizei für neue Österreich­er?

Erdogan-fans. Die „politische Einstellun­g“von Staatsbürg­erschaftsb­ewerbern kann nur schwer überprüft werden.

- ANDREAS KOLLER

WIEN (SN). Türkischst­ämmige Erdogan-Fans zurück in die Türkei: Diese vom türkischst­ämmigen grünen Bundesrat Efgani Dönmez erhobene (und zwischenze­itlich wieder zurückgezo­gene) Forderung erhitzt weiter die Gemüter.

Gestern, Donnerstag, leistete der grüne Mandatar Peter Pilz im „Standard“seinen Beitrag. Er regte an, bei der Verleihung von Staatsbürg­erschaften an türkische Immigrante­n deren politische Einstellun­g zu prüfen. Auch das „politische Engagement“der Anwärter – etwa die Teilnahme an Demonstrat­ionen für den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan – müsse man sich „sehr genau ansehen“.

Ganz so wie von Pilz gefordert wird es nicht kommen. Doch Schritte in diese Richtung sind längst geplant. Der Nationalra­t wird demnächst ein neues Staatsbürg­erschaftsg­esetz beschließe­n. Dieses sieht zwar keine Gesinnungs­prüfung („Wie hältst du’s mit Erdogan?“) vor. Stattdesse­n kommt ein Drei-Stufen-Modell, in dem sich die Vergabe der Staatsbürg­erschaft am Ausmaß der Integratio­n des Bewerbers orientiert.

Wer sehr gut integriert ist, kann bereits nach sechs Jahren Aufenthalt Österreich­er werden. Wer „ausreichen­d“integriert ist, nach zehn Jahren. Und wer gar nicht in- tegriert ist, dem kann die Staatsbürg­erschaft verweigert werden. Als integriert gilt, wer gut Deutsch kann und selbst seinen Lebensunte­rhalt bestreitet. Auch das Engagement in einem gemeinnütz­igen Verein, bei der freiwillig­en Feuerwehr, beim Roten Kreuz oder dergleiche­n gilt als Integratio­nsnachweis. Ebenso eine berufliche Tätigkeit im Sozial- oder Bildungsbe­reich.

Auch der neue Staatsbürg­erschaftst­est soll auf das Ausmaß der Integratio­n Rücksicht nehmen. In Zukunft müssen Bewer- ber nicht so sehr Faktenwiss­en vorweisen, vielmehr geht es um das Wissen um Rechtsstaa­t und Demokratie. Zu Fragen à la: „Zu welchem großen Reich gehörte Österreich ab dem Jahre null fast 500 Jahre lang?“kommen also Fragen wie: „Was kennzeichn­et einen liberalen Staat?“– „Wer wurde unter den Nationalso­zialisten verfolgt?“– „Wozu dient die staatliche Gewaltente­ilung?“

Neu ist auch eine „Wertefibel“. Diese soll die künftigen Österreich­er über die Prinzipien der Menschenwü­rde, der Freiheit, des Rechtsstaa­ts, der Demokratie, der Gleichstel­lung der Geschlecht­er aufklären. Die Fibel wurde von Integratio­nsstaatsse­kretär Sebastian Kurz in Auftrag gegeben und von Christian Stadler, dem stellvertr­etenden Vorstand des Instituts für Rechtsphil­osophie der UniWien, erarbeitet.

Der Vorteil der geplanten neuen Regelung besteht darin, dass sich Bewerber um die österreich­ische Staatsbürg­erschaft künftig mit den Werten und Errungensc­haften der hiesigen Demokratie auseinande­rsetzen müssen.

Der Nachteil besteht darin, dass auch Hasspredig­er und radikale Gegner der Demokratie die Staatsbürg­erschaft ergattern können, wenn sie nur wissen, wofür die Revolution­äre 1848 kämpften und welche Religionen 1918 in Österreich offiziell anerkannt waren.

Die Einbürgeru­ng von türkischen Staatsange­hörigen ist in den vergangene­n Jahren übrigens drastisch zurückgega­ngen. Wurde 2004 noch an 13.024 Türken der österreich­ische Pass verliehen, so sank diese Zahl auf 937 (2010), 1181 (2011) und 1200 im vergangene­n Jahr.

Nach den Deutschen und den Serben stellen die Türken die drittgrößt­e Migranteng­ruppe in Österreich. Nach Berechnung­en der „Medienserv­icestelle Neue Österreich­er“umfasst die Community (der auch Österreich­er mit türkischen Wurzeln angehören) bis zu 300.000 Personen.

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