Gedanken-polizei für neue Österreicher?
Erdogan-fans. Die „politische Einstellung“von Staatsbürgerschaftsbewerbern kann nur schwer überprüft werden.
WIEN (SN). Türkischstämmige Erdogan-Fans zurück in die Türkei: Diese vom türkischstämmigen grünen Bundesrat Efgani Dönmez erhobene (und zwischenzeitlich wieder zurückgezogene) Forderung erhitzt weiter die Gemüter.
Gestern, Donnerstag, leistete der grüne Mandatar Peter Pilz im „Standard“seinen Beitrag. Er regte an, bei der Verleihung von Staatsbürgerschaften an türkische Immigranten deren politische Einstellung zu prüfen. Auch das „politische Engagement“der Anwärter – etwa die Teilnahme an Demonstrationen für den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan – müsse man sich „sehr genau ansehen“.
Ganz so wie von Pilz gefordert wird es nicht kommen. Doch Schritte in diese Richtung sind längst geplant. Der Nationalrat wird demnächst ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz beschließen. Dieses sieht zwar keine Gesinnungsprüfung („Wie hältst du’s mit Erdogan?“) vor. Stattdessen kommt ein Drei-Stufen-Modell, in dem sich die Vergabe der Staatsbürgerschaft am Ausmaß der Integration des Bewerbers orientiert.
Wer sehr gut integriert ist, kann bereits nach sechs Jahren Aufenthalt Österreicher werden. Wer „ausreichend“integriert ist, nach zehn Jahren. Und wer gar nicht in- tegriert ist, dem kann die Staatsbürgerschaft verweigert werden. Als integriert gilt, wer gut Deutsch kann und selbst seinen Lebensunterhalt bestreitet. Auch das Engagement in einem gemeinnützigen Verein, bei der freiwilligen Feuerwehr, beim Roten Kreuz oder dergleichen gilt als Integrationsnachweis. Ebenso eine berufliche Tätigkeit im Sozial- oder Bildungsbereich.
Auch der neue Staatsbürgerschaftstest soll auf das Ausmaß der Integration Rücksicht nehmen. In Zukunft müssen Bewer- ber nicht so sehr Faktenwissen vorweisen, vielmehr geht es um das Wissen um Rechtsstaat und Demokratie. Zu Fragen à la: „Zu welchem großen Reich gehörte Österreich ab dem Jahre null fast 500 Jahre lang?“kommen also Fragen wie: „Was kennzeichnet einen liberalen Staat?“– „Wer wurde unter den Nationalsozialisten verfolgt?“– „Wozu dient die staatliche Gewaltenteilung?“
Neu ist auch eine „Wertefibel“. Diese soll die künftigen Österreicher über die Prinzipien der Menschenwürde, der Freiheit, des Rechtsstaats, der Demokratie, der Gleichstellung der Geschlechter aufklären. Die Fibel wurde von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz in Auftrag gegeben und von Christian Stadler, dem stellvertretenden Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie der UniWien, erarbeitet.
Der Vorteil der geplanten neuen Regelung besteht darin, dass sich Bewerber um die österreichische Staatsbürgerschaft künftig mit den Werten und Errungenschaften der hiesigen Demokratie auseinandersetzen müssen.
Der Nachteil besteht darin, dass auch Hassprediger und radikale Gegner der Demokratie die Staatsbürgerschaft ergattern können, wenn sie nur wissen, wofür die Revolutionäre 1848 kämpften und welche Religionen 1918 in Österreich offiziell anerkannt waren.
Die Einbürgerung von türkischen Staatsangehörigen ist in den vergangenen Jahren übrigens drastisch zurückgegangen. Wurde 2004 noch an 13.024 Türken der österreichische Pass verliehen, so sank diese Zahl auf 937 (2010), 1181 (2011) und 1200 im vergangenen Jahr.
Nach den Deutschen und den Serben stellen die Türken die drittgrößte Migrantengruppe in Österreich. Nach Berechnungen der „Medienservicestelle Neue Österreicher“umfasst die Community (der auch Österreicher mit türkischen Wurzeln angehören) bis zu 300.000 Personen.