„Der ÖGB ist wieder zurück“
Machtfaktor. Die Gewerkschaft hat Schwarz-blau und den Bawag-skandal überwunden. Sie redet wieder mit in der Politik. Politologe Ferdinand Karlhofer sieht dennoch Umwälzungen auf sie und alle Sozialpartner zukommen.
In zwei Bundesländern regiert mittlerweile eine Dreierkoalition – in Kärnten und seit Kurzem auch in Salzburg. Der Innsbrucker Politologe Ferdinand Karlhofer schließt so einen Dreierbund nach der Nationalratswahl auch im Bund nicht aus. Und er glaubt, dass sich dadurch für die Gewerkschaft zwar einiges ändern, sie aber bestehen bleiben und weiterhin politisch mitreden würde. SN: Es müsste in der Wirtschaftskrise regen Zulauf zu Gewerkschaften geben. Trotzdem sinken die Mitgliederzahlen beständig. Ist der ÖGB nicht mehr zeitgemäß? Ferdinand Karlhofer: Es wird immer notwendig sein, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer organisieren, um einen Ausgleich zu schaffen. Aber es stimmt: Die ÖGB-Mitgliederzahlen sind seit den 1980er-Jahren von 1,6 auf 1,2 Millionen gesunken, und das bei steigender Beschäftigung. Es ist nicht unbedingt eine brillante Bilanz, dass heute nur noch drei von zehn Arbeitnehmern bei der Gewerkschaft sind. Trotzdem hat der ÖGB eine tragende Rolle in der Sozialpartnerschaft. Das zeigt auch der Fall der insolventen Alpine. Der ÖGB hat sofort als einer der Krisenmanager der Sozialpartner reagiert. SN: Wie hat sich die Rolle des ÖGB in der Vergangenheit gewandelt? Karlhofer: In den 1970er-Jahren war der ÖGB sicherlich ein Machtfaktor. Früher war mehr als die Hälfte der Abgeordneten im Nationalrat nicht nur Mitglieder, sondern sogar Funktionäre der Gewerkschaft. Das hat sich durch die Liberalisierung und Globalisierung geändert. Ich erinnere an den Generalstreik im Jahr 2003 unter Schwarz-Blau, als der ÖGB 800.000 Menschen zusammentrommelte, um gegen die damalige Pensionsreform zu protestieren. Das war eine bis dato in Österreich unbekannte Zuspitzung. Drei Jahre später, 2006, erlebte der ÖGB den größten Schock seiner Geschichte, den Bawag-Skandal. Er ging bis an die Existenzgrenze der Gewerkschaft. Aber auch wenn noch nicht alle Gerichtsverfahren abgeschlossen sind, hat der ÖGB diese kritischste Phase überwunden. Das hat man schon beim Bundeskongress 2009 gesehen. Der jetzige Kongress 2013 hat gezeigt, dass der ÖGB endgültig zu seinem Tagesgeschäft zurückgekehrt ist. SN: Wie mächtig ist die Gewerkschaft heute? Karlhofer: Ich würde sagen, der ÖGB ist zurück auf der politischen Bühne. Seit der Regierungsbildung 2008 gilt das für alle Sozial- partner. Das sieht man an der Regierung mit einem Sozialminister, der vom ÖGB, und einem Wirtschaftsminister, der von der Wirtschaftskammer kommt. Abgesehen von der Unterbrechung durch Schwarz-Blau war diese Aufteilung in der Zweiten Republik Usance in Österreich. Es hat sich aber insofern abgemildert, als dass der ÖGB den Posten des Nationalratspräsidenten nicht mehr fast als Erbpacht innehat. SN: Aber mit Beamtengewerkschaftschef Fritz Neugebauer besetzt sie den Posten des Zweiten NR-Präsidenten. Könnte das eine Dreierkoalition im Bund , wie es sie bereits in Salzburg gibt, ändern? Karlhofer: Die Sozialpartner und der ÖGB hatten stets nur eine Denklogik: den Proporz aus Schwarz und Rot. Dementsprechend sind auch heute noch Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer schwarz besetzt und der ÖGB und die Arbeiterkammer rot. Verglichen mit den Parteien, wo es mittlerweile eine Auffächerung gibt, befinden sich die Sozialpartner in einer anderen Zeit. Ich bezweifle aber, dass sich das so rasch ändern wird. Die Sozialpartnerschaft durchläuft nur in dem Sinne einen Wandel, dass ihre politischen Ansprechpartner in Zukunft nicht mehr automatisch in der Regierung sitzen werden. SN: Werden die Sozialpartner dann weniger mitreden können? Karlhofer: Nein, das glaube ich nicht. Die Sozialpartner sind innerhalb der Regierung an Ressorts interessiert, die von den Grünen nicht so sehr reklamiert werden – Wirtschaft und Soziales. SN: Das gilt aber nicht für die FPÖ oder das Team Stronach. Karlhofer: Hier muss man aber die Machbarkeit einer Koalitionsbildung berücksichtigen. Ich glau- be auch nicht, dass die FPÖ oder das Team Stronach den Steuerungsbereich der Sozialpartner überschreiten werden. SN: Gerade Stronach wollte die Gewerkschaften abschaffen. Karlhofer: Es gibt Statements, die werden nicht aus Versehen abgegeben und danach korrigiert. Der ÖGB hatte dadurch ein willkommenes Feindbild und das Team Stronach eine gewisse Publizität, die es vor der Nationalratswahl ganz gut brauchen kann. SN: Wie sehen Sie die langfristige Zukunft der Gewerkschaften? Karlhofer: Der ÖGB hat ein ähnliches Problem wie die Parteien. Die Jungen von heute binden sich nicht gern. Dazu kommt, dass durch das steigende Bildungsniveau die Jungen nicht mehr mit 15, 16 Jahren ins Berufsleben einsteigen, der ÖGB sie also auch erst später rekrutieren kann.