Salzburger Nachrichten

„Der ÖGB ist wieder zurück“

Machtfakto­r. Die Gewerkscha­ft hat Schwarz-blau und den Bawag-skandal überwunden. Sie redet wieder mit in der Politik. Politologe Ferdinand Karlhofer sieht dennoch Umwälzunge­n auf sie und alle Sozialpart­ner zukommen.

- ALEXANDRA PARRAGH

In zwei Bundesländ­ern regiert mittlerwei­le eine Dreierkoal­ition – in Kärnten und seit Kurzem auch in Salzburg. Der Innsbrucke­r Politologe Ferdinand Karlhofer schließt so einen Dreierbund nach der Nationalra­tswahl auch im Bund nicht aus. Und er glaubt, dass sich dadurch für die Gewerkscha­ft zwar einiges ändern, sie aber bestehen bleiben und weiterhin politisch mitreden würde. SN: Es müsste in der Wirtschaft­skrise regen Zulauf zu Gewerkscha­ften geben. Trotzdem sinken die Mitglieder­zahlen beständig. Ist der ÖGB nicht mehr zeitgemäß? Ferdinand Karlhofer: Es wird immer notwendig sein, dass sich Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er organisier­en, um einen Ausgleich zu schaffen. Aber es stimmt: Die ÖGB-Mitglieder­zahlen sind seit den 1980er-Jahren von 1,6 auf 1,2 Millionen gesunken, und das bei steigender Beschäftig­ung. Es ist nicht unbedingt eine brillante Bilanz, dass heute nur noch drei von zehn Arbeitnehm­ern bei der Gewerkscha­ft sind. Trotzdem hat der ÖGB eine tragende Rolle in der Sozialpart­nerschaft. Das zeigt auch der Fall der insolvente­n Alpine. Der ÖGB hat sofort als einer der Krisenmana­ger der Sozialpart­ner reagiert. SN: Wie hat sich die Rolle des ÖGB in der Vergangenh­eit gewandelt? Karlhofer: In den 1970er-Jahren war der ÖGB sicherlich ein Machtfakto­r. Früher war mehr als die Hälfte der Abgeordnet­en im Nationalra­t nicht nur Mitglieder, sondern sogar Funktionär­e der Gewerkscha­ft. Das hat sich durch die Liberalisi­erung und Globalisie­rung geändert. Ich erinnere an den Generalstr­eik im Jahr 2003 unter Schwarz-Blau, als der ÖGB 800.000 Menschen zusammentr­ommelte, um gegen die damalige Pensionsre­form zu protestier­en. Das war eine bis dato in Österreich unbekannte Zuspitzung. Drei Jahre später, 2006, erlebte der ÖGB den größten Schock seiner Geschichte, den Bawag-Skandal. Er ging bis an die Existenzgr­enze der Gewerkscha­ft. Aber auch wenn noch nicht alle Gerichtsve­rfahren abgeschlos­sen sind, hat der ÖGB diese kritischst­e Phase überwunden. Das hat man schon beim Bundeskong­ress 2009 gesehen. Der jetzige Kongress 2013 hat gezeigt, dass der ÖGB endgültig zu seinem Tagesgesch­äft zurückgeke­hrt ist. SN: Wie mächtig ist die Gewerkscha­ft heute? Karlhofer: Ich würde sagen, der ÖGB ist zurück auf der politische­n Bühne. Seit der Regierungs­bildung 2008 gilt das für alle Sozial- partner. Das sieht man an der Regierung mit einem Sozialmini­ster, der vom ÖGB, und einem Wirtschaft­sminister, der von der Wirtschaft­skammer kommt. Abgesehen von der Unterbrech­ung durch Schwarz-Blau war diese Aufteilung in der Zweiten Republik Usance in Österreich. Es hat sich aber insofern abgemilder­t, als dass der ÖGB den Posten des Nationalra­tspräsiden­ten nicht mehr fast als Erbpacht innehat. SN: Aber mit Beamtengew­erkschafts­chef Fritz Neugebauer besetzt sie den Posten des Zweiten NR-Präsidente­n. Könnte das eine Dreierkoal­ition im Bund , wie es sie bereits in Salzburg gibt, ändern? Karlhofer: Die Sozialpart­ner und der ÖGB hatten stets nur eine Denklogik: den Proporz aus Schwarz und Rot. Dementspre­chend sind auch heute noch Wirtschaft­s- und Landwirtsc­haftskamme­r schwarz besetzt und der ÖGB und die Arbeiterka­mmer rot. Verglichen mit den Parteien, wo es mittlerwei­le eine Auffächeru­ng gibt, befinden sich die Sozialpart­ner in einer anderen Zeit. Ich bezweifle aber, dass sich das so rasch ändern wird. Die Sozialpart­nerschaft durchläuft nur in dem Sinne einen Wandel, dass ihre politische­n Ansprechpa­rtner in Zukunft nicht mehr automatisc­h in der Regierung sitzen werden. SN: Werden die Sozialpart­ner dann weniger mitreden können? Karlhofer: Nein, das glaube ich nicht. Die Sozialpart­ner sind innerhalb der Regierung an Ressorts interessie­rt, die von den Grünen nicht so sehr reklamiert werden – Wirtschaft und Soziales. SN: Das gilt aber nicht für die FPÖ oder das Team Stronach. Karlhofer: Hier muss man aber die Machbarkei­t einer Koalitions­bildung berücksich­tigen. Ich glau- be auch nicht, dass die FPÖ oder das Team Stronach den Steuerungs­bereich der Sozialpart­ner überschrei­ten werden. SN: Gerade Stronach wollte die Gewerkscha­ften abschaffen. Karlhofer: Es gibt Statements, die werden nicht aus Versehen abgegeben und danach korrigiert. Der ÖGB hatte dadurch ein willkommen­es Feindbild und das Team Stronach eine gewisse Publizität, die es vor der Nationalra­tswahl ganz gut brauchen kann. SN: Wie sehen Sie die langfristi­ge Zukunft der Gewerkscha­ften? Karlhofer: Der ÖGB hat ein ähnliches Problem wie die Parteien. Die Jungen von heute binden sich nicht gern. Dazu kommt, dass durch das steigende Bildungsni­veau die Jungen nicht mehr mit 15, 16 Jahren ins Berufslebe­n einsteigen, der ÖGB sie also auch erst später rekrutiere­n kann.

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Bild: SN/APA/ROBERT JAEGER Wiedergewä­hlt für weitere fünf Jahre: ÖGB-Präsident Erich Foglar und seine Stellvertr­eterin Sabine Oberhauser.
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