Als Frau in einem Männerkörper leben
Transsexualität. In den falschen Körper geboren, aber in die richtige Frau verliebt: Der Kinofilm „Laurence, Anyways“erzählt eine komplizierte Liebesgeschichte.
WIEN (SN). Laurence ist Mitte 30, Literaturdozent, verliebt in seine Freundin Fréd und zutiefst unglücklich: Seit er denken kann, fühlt er sich in seinem Männerkörper, als belöge er die Welt. Denn im Inneren ist Laurence eine Frau. Doch das mindert die Liebe zu Fréd nicht.
Diese Geschichte erzählt das 23-jährige Regiewunderkind Xavier Dolan in seinem dritten Spielfilm: „Laurence, Anyways“. gesteckt werden. Die Mehrheit bestätigt sich durch die Distanzierung zu diesen Ausgestoßenen in ihrer eigenen Normalität. Und das ist der Punkt, in dem der Film für mich persönlich ist. SN: Ihre Schublade als schwuler Mann ist allerdings definiert und auch relativ groß, während das, was Laurence erlebt, für die Leute schwierig zu verstehen ist. SN: Wie viel von Ihnen steckt in Laurence? Xavier Dolan: All diese Überlegungen zum Anderssein sagen bestimmt viel über mich aus. Der Film treibt das allerdings auf die Spitze. Der transsexuelle Part und auch diese Liebesgeschichte, das alles ist erfunden, das ist nicht autobiografisch. Ich bin viel jünger, ich habe eine andere sexuelle Orientierung, ich fühle mich nicht unwohl mit meinem biologischen Geschlecht, ich bin nicht hetero, und ich war noch nie in einer solchen Beziehung.
Es geht in dem Film letztlich darum, wie die Gesellschaft mit unterschiedlichen Menschen umgeht, wie Einzelne an den Rand gedrängt und in enge Schubladen Dolan: Der Film ist mit der Überlegung gedreht, dass es für jede mögliche Position und jede Neigung eine Schublade gibt in der Gesellschaft. Rechtskonservative Leute, die Bourgeoisie, Leute aus der Burlesque-Szene, Homosexuelle, konventionell lebende Menschen, Regierungsbeamte – jeder Einzelne in diesem Film hat eine klar definierte Position: Die Schwester, die Mutter, die Burles- que-Truppe „Five Roses“– jeder hat eine ausgeprägte Haltung dazu, wie das Leben sein sollte.
Der Einzige, der nirgends hineinpasst, ist Laurence. Dabei ist er auf der Suche nach einem normalen Leben, obwohl er etwas zu bewältigen hat, das größer ist als die Natur. SN: Anders als in Ihren ersten beiden Filmen spielen Sie in „Lau- rence, Anyways“nicht mit, aber sonst haben Sie fast alles selbst gemacht: Regie, Drehbuch, Montage. Dolan: Ja, bei jedem meiner Filme. Sogar die Kostüme hab ich selbst besorgt. Ich schaffe es nicht, das aus der Hand zu geben, ich weiß zu genau, was ich will. Ähnlich ist es beim Schnitt, den ich selbst mache: Ich habe alles schon genau vor Augen, wenn ich das Drehbuch schreibe, und ich will es niemandem detailreich erklären müssen. Da mache ich es lieber gleich selbst, das ist einfacher. SN: Was war die größte Herausforderung? Dolan: Ach, diesen Film zu drehen war ein wirkliches Geschenk. Die Crew war enorm lieb und lustig, alle machten fröhlich mit. Zum Glück hat mich keiner wie ein Kind behandelt, es gab niemanden, der mir erklärt hat, wie der Hase läuft, weil er schon zwanzig Jahre im Geschäft ist. Alle waren kooperativ. Nur die Vorbereitung war unglaublich mühsam, eben weil ich alles selbst machen will. SN: Liebe überwindet viele Hindernisse, hier sogar das Geschlecht. Ist das die Botschaft des Films? Dolan: Dieser Film hat keine Botschaft, ich will niemandem etwas diktieren. Es ist immer eine Sache der Einzelpersonen: Manche Paare bleiben nach so einer großen Veränderung zusammen und manche zerbrechen. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn mein Freund mir eröffnen würde, dass er zur Frau wird. Kino: Laurence Anyways, Drama, Frankreich, Kanada 2012. Regie: Xavier Dolan, mit Melvil Poupaud, Suzanne Clément, Start: 21. Juni.