Salzburger Nachrichten

Die Frau in Gold verstört

Ist es eine Hure oder eine Heilige, die Gustav Klimt als „Judith“gemalt hat?

- HEDWIG KAINBERGER

WIEN (SN). Die attraktive Frau schaut ihren Betrachter von oben herab an. Man kann auch sagen: Sie blickt abfällig. Sie erhöht ihren Betrachter nicht, sie macht dessen Seele nicht groß und weit, sondern sie drückt ihn hinab, macht ihn klein, unterwirft ihn. Beim Betrachten dieses Bildes, das Gustav Klimt 1901 als „Judith“gemalt hat, ist eine besondere Art des Niedergehe­ns, des Niedergedr­ückt-Werdens zu erleben.

Noch etwas verstört an diesem Frauenbild: Immer wieder schimmert die Leinwand durch, als hätte Gustav Klimt ein wenig schleißig gemalt. Diese scheinbare Nachlässig­keit hat zwei grandiose Effekte: Zum einen ist die Nacktheit der Frau nur angedeutet. Dies weckt Ahnungen und Fantasien. Zum anderen spießt sich die schleierha­fte Undeutlich­keit mit der Umgebung. Denn Gustav Klimt hat den Körper dieser luderhaft, lasziv blickenden Frau mit einem kraftvolle­n Leuchten eingefasst, das materiell wie mythisch kostbar ist: Gold. Der Blick und die Nacktheit sind wie von einer Hure, die edle Fassung hingegen wie von einer Heiligen.

Derartige Sinnesregu­ngen, die diese „Judith“zu erzeugen vermag, lassen sich in einem Begriff fokussiere­n. Dieser umfasst den Niedergang ebenso wie das Auflösen des Ichs, den inneren Verfall, den vergeuderi­schen Luxus und das erotisiere­nde Fest. Und dieser ist das Leitmotiv für eine klug gestaltete Ausstellun­g im Unteren Belvedere in Wien, die ab heute, Freitag, zu sehen ist: „Dekadenz“.

Kurator Alfred Weidinger führt über das Phänomen der Dekadenz zu Kunstwerke­n, die damals – um 1900 – vor allem in Wien entstanden sind: zum Symbolismu­s und seiner österreich­ischen Spielart. Museumsdir­ektorin Agnes Husslein sagte in der Presseführ­ung am Donnerstag: Der Symbolismu­s sei nicht so sehr eine Kunstström­ung wie eine „Geisteshal­tung“.

In diese kann man nun im Unteren Belvedere eindringen: in das Sinnliche und Magische, das tief Bedeutsame und Rätselhaft­e, das Seelische und Irrational­e. Lässt man sich davon in Schwingung bringen, wird man von weichen Schleiern und warmem Glanz wohlig umhüllt, doch zugleich immer wieder vom Schauder gepackt – wie vom geköpften Holofernes rechts unten im Bild der „Judith“und wie im Katalog der ungarisch-österreich­ische Schriftste­ller Ludwig Hevesi zitiert ist: „Die , Judith‘ ist die vergoldete Nussschale, in die der Künstler (Klimt, Anm.) dieses ganze Phantasiek­önnen, unzurechnu­ngsfähig und superklug, wie es ist, hineingepr­esst hat, wie man einst ein konzentrie­rtes Gift in einem kostbaren Ring unterbrach­te.“Ausstellun­g: Dekadenz, Belvedere, bis 13. Oktober.

Unteres

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Bild: SN/BELVEDERE Gustav Klimts „Judith“.

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