„Rache stärker als die Liebe zum Kind“
Mord. Auf offener Straße ersticht ein 53-Jähriger seine vermutlich schwangere Ehefrau. Der zweijährige Sohn des Paars sieht alles mit an. Warum manche Väter ganz bewusst vor den Augen ihrer Kinder töten.
Immer wieder werden Kinder in Österreich Zeugen von Gewalttaten oder Morden. Die SN sprachen mit Kriminalpsychiater Reinhard Haller darüber, wie Kinder solche Erlebnisse verarbeiten und was ein Täter, der seine Frau auf offener Straße mit einem 30 Zentimeter langen Küchenmesser ersticht, der „Welt demonstrieren will“.
SN: Was lässt Väter vor den Augen ihrer Kinder zu Mördern werden? Haller: Es gibt Fälle, wo Täter diese Handlung ganz bewusst vor ihren Kindern durchführen. Sozusagen um ihnen zu zeigen, was die Mama für eine böse Frau war. Manchmal auch, um den Kindern klarzumachen, was sie nun davon haben, weil sie immer zur Mama gehalten haben. Kinder stehen ja meist auf der Seite ihrer Mutter. Der Täter will sich sozusagen an der Front, die er gegen sich hatte, auf grausame Art und Weise rächen. Das passiert eher, wenn Kinder älter sind.
SN: Und wenn sie jünger sind? Haller: Der gegenständliche Fall lässt den Schluss zu, dass der Täter so zutiefst voll Wut, Hass und Kränkung war, dass ihn nicht einmal mehr das Kind von seiner Tat abhalten konnte. Das Streben nach Rache ist stärker als die Liebe zum Kind. SN: Werden Kinder bei Bluttaten dieser Art eher zu Zeugen oder auch zu Opfern? Haller: Das sind zwei unterschiedliche Abläufe. Es gibt Taten, bei denen sich die Aggression nur gegen die den Täter kränkende, nicht mehr liebende Frau richtet. Kommt es hingegen zu einem erweiterten Mord, dann will der Täter meist gerade jüngeren Kindern ein Leben ohne Vater und Mutter ersparen und nimmt sie mit in ein besseres Jenseits.
SN: Nehmen diese Taten zu? Haller: Generell steigen diese Taten leider an und sind stark tabuisiert. Die aktuelle Tat zeigt auch, wie hassvoll der Täter gewesen sein muss, wenn er mit einem Messer auf offener Straße die Mutter seines Kindes ersticht. Das sagt einiges aus. SN: Was sagt diese Art der Tötung aus? Haller: Dass der Täter es hinausschreien wollte. Eine Tötung mit einem Messer ist etwas sehr archaisches. Und auf offener Straße heißt, der Täter will der ganzen Welt demonstrieren: Schaut her, wie tief gekränkt und arm ich bin, dass ich mich auf so furchtbare Weise rächen muss. SN: Wie gehen Kinder mit solchen Erlebnissen um? Haller: Das eine ist, dass das Kind, obwohl es im konkreten Fall erst zwei Jahre alt war, sicher im Moment einen Schock hat. Weil es natürlich versteht, dass hier Gewalt passiert ist, dass Blut geflossen ist, die Mutter auf der Straße liegt. Aber es ist wahrscheinlich zu jung, um alles richtig zu begrei- fen. Das andere ist, dass man bedenken muss, dass das Kind nicht nur die Mutter verloren hat, sondern auch den Vater. Die Mutter ist tot und der Vater kommt in Haft. Das Leben des Kindes hat sich also vollkommen verändert. Das ist ein Trauma ersten Rangs. Eine schwere Beeinträchtigung dieses jungen Lebens. Darum ist kinderpsychologische Hilfe dringend anzuraten. SN: Wie könnte diese Hilfe konkret aussehen? Haller: Man wird zunächst behutsam herausfinden, was das Kind von der Tat mitbekommen hat, was haften geblieben ist. Um dann mit einer kindgerechten Sprache die Tat so zu übersetzen, dass alles für das Kind transparent und verständlich wird. Damit es nicht zu einer Verdrängung und nicht stattfindenden Trauerreaktion kommt. Denn psychische Probleme resultieren in der Regel – neben dem Trauma – auch daraus, dass keine Trauerarbeit geleistet wurde. Werden diese Erlebnisse verdrängt, gären sie unbewusst weiter und können im späteren Leben Probleme bereiten. SN: Inwiefern ändert sich das Bild des Vaters, der von Kindern meist als Beschützer wahrgenommen wird, durch eine solche Tat? Haller: Kommt es zu viel Gewalt und Streit in der Familie, dann hat das Kind oft von vornherein nicht das Bild des Beschützers, sondern jenes des bösen Vaters. Und dieses wird durch solch eine Tat noch verfestigt. Umso wichtiger wäre es, dass das Kind in seinem Leben auch einmal die Chance auf das Bild einer anderen Vaterfigur bekommt. Nicht nur von jener, die seine Kindheit geprägt hat.