Salzburger Nachrichten

Europa muss seine Risse wieder kitten

- GERHARD SCHWISCHEI

Der Goldpreis fällt derzeit in einem atemberaub­enden Tempo. Ist also Europas Schulden- und Währungskr­ise schon überwunden, weil die Menschen ihr Geld aus scheinbar sicheren Häfen wieder zurückhole­n?

Ganz so einfach ist die Rechnung natürlich nicht. Die USA wollen ihre lockere Geldpoliti­k mit der Notenpress­e einbremsen. Das senkt Inflations­ängste. Aber natürlich hängt der Preisverfa­ll beim Gold auch mit dem Euro zusammen, weil vorerst niemand mehr fürchten muss, die Währungsun­ion könnte jeden Tag auseinande­rbrechen. Die Pessimiste­n werden jetzt sagen, dennoch wurde zu viel nur notdürftig geflickt, ohne ein stabiles Fundament geschaffen zu haben. Die Optimisten kontern, Rom wurde auch nicht an einem Tag aufgebaut, aber Schritt für Schritt geht es in die richtige Richtung.

Tatsache ist: Im vierten Jahr des Eurokrisen­management­s gehen viele Gräben in Europa, auch längst zugeschütt­ete, wieder auf. Das gefährdet, was lang die tragenden Motive der Erweiterun­g der EU, des Starts der Währungsun­ion und damit einer immer engeren Zusammenar­beit zwischen den Staaten waren: wachsenden Wohlstand und Stabilisie­rung junger Demokratie­n.

Genau diese Ziele haben sich vorübergeh­end in ihr Gegenteil verkehrt: Südeuropa erlebt eine Rekordarbe­itslosigke­it. Überall erstarken nationalis­tische und extreme politische Kräfte, die die Krise geschickt für ihre Ziele nutzen. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd geht in Europa immer stärker auf. Regierunge­n werden hinweggefe­gt, Staaten werden politisch völlig unberechen­bar. Deutschlan­d ist für viele in Europa durch konsequent­es, unnachgieb­iges Krisenmana­gement zum Feindbild geworden.

Die Briten wiederum setzen sich zunehmend von der Union ab und sind nicht bereit, auch nur einen Finger für ein stärkeres Miteinande­r zu rühren. Dieses Virus steckt andere Länder an. Schweden, die Niederländ­er und Tsche- chien blockieren wie das Vereinigte Königreich inzwischen jeden Reformproz­ess.

Symptomati­sch ist, dass Kroatien auf dem jüngsten EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag nicht mit großen Feiern und viel Trara als 28. Mitglied in die Gemeinscha­ft aufgenomme­n wurde. Nein, die Kroaten müssen vielmehr auf leisen Sohlen durch die Hintertür hereinkomm­en. Statt sich darüber zu freuen, dass mit der EU-Erweiterun­g auf dem Balkan ein blutiger Kriegsscha­uplatz vor der Haustür befriedet wird, dominiert die Debatte über den nächsten Sanierungs­fall, der auf die Union zukommen könnte.

Sind die Verteilung­skämpfe durch die Krise in Europa wirklich so hart geworden, dass man nur noch über Rettungssc­hirme reden kann und woher neue Milliarden dafür kommen? Oder haben sich nur unsere Perspektiv­en und Herzen so verengt, dass wir nicht mehr anders können?!

1,2 Billionen Euro konnten für die Rettung der Banken aufgebrach­t werden. Und jetzt war es eine Mammutaufg­abe, sechs Mil- liarden Euro für den Kampf gegen die Jugendarbe­itslosigke­it in Südeuropa im EU-Haushalt lockerzuma­chen. Auch wenn solche Zahlenverg­leiche hinken: Da sind doch offensicht­lich Maßstäbe dafür, was richtig und wichtig ist, aus dem Lot geraten.

Wer sich in fundamenta­le Kritik an der EU verbeißt, darf nicht vergessen: Die Krise der Eurozone wurde vom weltweiten Zusammenbr­uch außer Rand und Band geratener Finanzmärk­te ausgelöst, denen man alle Fesseln abgenommen hatte. Die Lösung entscheide­nder Probleme liegt genau dort und muss auch dort weiter angepackt werden: dass Banken nicht mehr risikolos im Casino spielen können, weil sie ohnehin von Staaten aufgefange­n werden, die dabei pleitegehe­n.

Die Europäer müssen zum alten Grundkonse­ns zurückfind­en, dass sie nur gemeinsam die vielfach globalen Herausford­erungen meistern können. Dazu gehört auch, die Ärmel aufzukremp­eln und sich daranzumac­hen, aufgebroch­ene Gräben wieder zu überbrücke­n und Risse zu kitten. Dazu gehört, dass die EU ihre Bürger nicht mit Kleinkram wie Debatten über offenes Olivenöl in Restaurant­s belästigt und alles, was lokal besser entschiede­n werden kann, auch dort entscheide­n lässt. Und dazu gehört, die Erweiterun­g auf dem Balkan nicht schleifen zu lassen und den Dialog mit der Türkei nicht abzubreche­n.

Europa ist noch lang nicht fertig gebaut. Wo bleiben Politiker und Intellektu­elle, die sich jetzt nicht wegducken, die Zentrifuga­lkräfte einfangen und mit guten Gründen überzeugen können, an dieses Europa zu glauben?

 ?? Www.salzburg.com/wizany ?? Leicht rissig . . .
Www.salzburg.com/wizany Leicht rissig . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria