Nach dem Goldrausch kam der Kater
Analyse. Warum die Goldhausse jetzt jäh abgerissen ist. Welche Kleinanleger trotzdem jetzt noch einsteigen sollten. Und warum der Goldpreis künftig in Händen der Chinesen liegt.
WIEN (SN). Vor wenigen Monaten war Gold noch eine gesuchte Krisenwährung, ein sogenannter sicherer Hafen, in dem auch private Anleger in stürmischen Zeiten ihr Geld unbesorgt anlegen konnten. Seit Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 war der Goldpreis von einem Rekordhoch zum nächsten gestürmt.
Jetzt ist auf einmal alles anders. Nach einer stärkeren Preiskorrektur im April ist der Goldpreis zuletzt massiv eingebrochen. Am Freitag notierte der Preis für eine Feinunze (31,1 Gramm) Gold an der Londoner Börse zeitweise bei 1180,50 Dollar (905,85 Euro), das ist der tiefste Wert seit August 2010. Seit Jahresbeginn hat der Goldpreis mehr als 30 Prozent seines Werts eingebüßt. Allein im zweiten Quartal (April bis Ende Juni) schmolz derWert des Goldes um rund ein Viertel, das ist der stärkste Rückgang seit dem Jahr 1920. Zuvor war der Goldpreis zwölf Jahre lang konstant gestiegen. Den Höchstpreis erreichte er im September 2011 mit 1921,15 Dollar je Feinunze.
Diese vehemente Reaktion hat auch professionelle Marktbeobachter wie Frank Schallenberger von der Landesbank BadenWürttemberg (LBBW) überrascht. Als Gründe für den Preisverfall sieht Schallenberger eine Reihe fundamentaler Faktoren, etwa massive Goldverkäufe durch große Fonds, die seit Jahresbeginn mehrere Hundert Tonnen auf den Markt geworfen hätten. Dazu komme, dass manche Dinge in den größten Abnehmerländern China und Indien „zuletzt nicht mehr so rund liefen“. So hat Indien, wo Geschenke aus Gold bei Hochzeiten zum guten Ton gehören, die Einfuhr von Gold massiv steuerlich belastet. Und die schwächere Konjunktur in China habe auch den bisher unstillbaren Goldhunger der Chinesen gebremst.
Goldanalyst und Berater
Jüngste Wirtschaftsdaten, die auf eine Verlangsamung des chinesischen Wirtschaftswachstums hindeuten, seien „genau die Anzeichen, die der Goldpreis nicht sehen will“, sagt Monika Rosen, die Chefanalystin im Private Banking der Bank Austria. Für Rosen spielen auch Sorgen vor einem möglichen Ende der expansiven Geldpolitik der US-Notenbank ei- ne entscheidende Rolle. Weil es so aussieht, als gewinne die Wirtschaft in den USA und auch in Europa langsam wieder an Fahrt, haben die Notenbanken angedeutet, ihre Flutung der Finanzmärkte mit billigem Geld und massiven Anleihenkäufen zurückzufahren. Damit verliert Gold vordergründig seine Bedeutung als Krisenwährung und als Absicherung gegen eine Schwäche der Finanzmärkte.
Wie geht es mit dem Goldpreis weiter? Analyst Schallenberger rechnet im Wesentlichen mit einer Stabilisierung rund um 1200 Dollar. Auch Raiffeisen-Rohstoffanalyst Manuel Schuster sieht bei dieser Marke eine gute Unterstützung, schließt aber kurzfristige Ausschläge nach oben oder unten nicht aus. Die Bank Austria rechnet im Jahresdurchschnitt mit einem Goldpreis um 1500 Dollar – was angesichts des vergleichsweise hohen Preises in den ersten Monaten einen weiteren Rückgang freilich nicht ausschließt.
Kein Zweifel besteht bei den Experten darüber, dass die Goldparty fürs Erste vorbei ist. Der zwölf Jahre anhaltende Trend ist mehrfach nach unten durchbrochen worden. Dessen ungeachtet hält Goldexperte Ronald Stöferle unverändert an einem „langfristi- gen“Preisziel von 2300 Dollar pro Unze fest. Denn noch seien Probleme wie die hohe Verschuldung vieler Euroländer nicht gelöst.
Was das für ein mögliches Goldengagement eines privaten Anlegers bedeutet, darüber scheiden sich die Geister. LBBW-Analyst Schallenberger rät Neueinsteigern in dieser Phase: „Lieber die Finger weg.“Zur Abrundung eines Portfolios allerdings habe Gold durchaus noch Sinn. Insbesondere dann, wenn jemand nicht kurzfristige Wertsteigerung im Auge hat, sondern die globale Wirt- schaftsentwicklung pessimistisch einschätzt. Für ihn dürfte sich Gold noch immer lohnen.
Bei der Münze Österreich herrsche jedenfalls rege Nachfrage, sagt deren Geschäftsführer Gerhard Starsich. Seit April würden täglich 5000 bis 20.000 Unzen verkauft, ein Mehrfaches der sonst üblichen 2000 bis 3000 Unzen. „Der Einstiegspreis ist für viele wieder interessant geworden“, sagt Starsich. Er erwartet bald wieder steigende Preise. Denn unter dem aktuellen Niveau könnten die Schürfkosten nicht mehr gedeckt werden. Rechnet sich die Produktion nicht, sinkt das Angebot, und der Preis steigt – zumindest theoretisch. Auch das Goldhandelshaus pro aurum meldet das Fünffache der üblichen Kundennachfrage. Kaum jemand verkauft: Auf einen Verkäufer kämen neun Käufer, heißt es.