„Dieser Strafvollzug ist unerträglich“
Kritik. Nach dem Missbrauch eines 14-Jährigen in der U-haft fordert Spö-justizsprecher Hannes Jarolim einmal mehr den Jugendgerichtshof.
„Das ist unerträglich.“Auf diesen Nenner bringt der Justizsprecher der SPÖ, Rechtsanwalt Hannes Jarolim – seit 15 Jahren Mitglied des parlamentarischen Justizausschusses – die Vorkommnisse in der Jugendabteilung der Justizanstalt Wien-Josefstadt Doch seine Kritik geht weiter: Er sieht gravierende Systemmängel. Die SN sprachen mit Hannes Jarolim. SN: Bei der Österreichischen Richterwoche diskutierte man gerade über „kindgerechte Obsorge“, als bekannt wurde, dass ein 14-Jähriger – also fast noch ein Kind – in der Obsorge der Justiz, nämlich in der U-Haft, zum Missbrauchsopfer wurde. Weiß in der Justiz die eine Hand nicht, was die andere tut? Jarolim: Es ist offensichtlich so, dass der Strafvollzug in der Justiz nicht die Rolle spielt, die er spielen sollte. Man hat den Eindruck, dass alles, was nach dem Urteil kommt, in der Richterschaft nicht mehr wirklich reflektiert wird. SN: Es ist ein gesellschaftspolitisches Anliegen, Kinder aus zerrissenen Familien nicht abgleiten zu lassen. Aber muss es nicht das gleiche Anliegen sein, abgeglitte- ne junge Menschen, die der Justiz überantwortet sind, zu schützen? Jarolim: Das ist eines der Hauptziele. Bis 2003 waren wir in ganz Europa für den Wiener Jugendgerichtshof berühmt. Dort war keine klassische Justizanstalt, sondern es ging darum, Jugendliche wieder zurück ins wahre Leben zu bringen. Wenn man gesehen hat, wie erfolgreich gearbeitet wurde und wie gering die Rückfallquoten waren, dann ist klar, dass wir selbst die Messlatte gelegt haben, von der wir dann ohne Not und ohne Grund abgegangen sind.
Im „alten“System gab es eine Vollbeschäftigung und -ausbildung aller jugendlichen Häftlinge. Und jetzt? Derzeit steht lediglich ein Drittel der Jugendlichen im Strafvollzug in Wien-Josefstadt in Ausbildung. Das heißt, zwei Drittel gehen von dort ohne Ausbildung für Berufschancen hinaus, sie haben nur Übles gelernt. Das ist eine grobe Fahrlässigkeit, die die Gesellschaft hier zulässt. SN: Sie sind seit Langem Justizpolitiker der SPÖ. Sind hier nicht über alle Parteigrenzen hinweg sämtliche Justizpolitiker dringend gefordert, etwas gegen die Missstände in der Haft, noch dazu bei Jugendlichen, zu unternehmen? Jarolim: Absolut. Jeder ist dazu verpflichtet, den Finger auf die Mängel zu legen. In Wien-Josefstadt ist die Justizanstalt völlig überfüllt und die Personalausstattung so, dass das Personal selbst unter Druck steht. Die ganze Institution ist ein Kochtopf, der kurz vor dem Bersten steht. Das ist der Grund, warum wir immer wieder darauf hinweisen, dass diese Art des Strafvollzugs unerträglich ist und es neuer Einrichtungen bedarf, etwa eines neuen Jugendgerichtshofs. Es muss eine Einrichtung sein, wo Experten junge De-
Hannes Jarolim,
SN: Aber es liegt doch im Bereich der Regierungsparteien, für den Handeln, wo dasWasser bis zum Hals steht. linquenten zurück auf die richtige Bahn führen. Das ist ein ganz wesentlicher Faktor, an dem die Erfolge oder Misserfolge der Justiz und Strafjustiz gemessen werden. Strafvollzug jene budgetären Mittel zur Verfügung zu stellen, damit es eben keine Vier-Mann-Zellen für Jugendliche, dafür aber Arbeit und Freizeitbeschäftigung gibt! Jarolim: Völlig richtig. Es müssen Schwerpunkte gesetzt werden, und zwar dort, wo das Wasser bis zum Hals steht, etwa in den Justizanstalten. Es ist Aufgabe eines/-r Justizministers/-in, auf prioritäre Entwicklungen und Probleme hinzuweisen. Ich als Kooperationspartner kann darauf aufmerksam machen und Unterstützungsarbeit leisten, aber die operative Federführung liegt beim Minister und seinem Umfeld. Ich habe den Eindruck, dass in diesem Bereich ein unvollständiger Informationsfluss herrscht. SN: Welche Rahmenbedingungen müssten geschaffen werden? Jarolim: Wenn am Freitagnachmittag um 15 Uhr die Zellen geschlossen werden, beginnen dort gruppendynamische Dinge – man kann sagen, es ist die Hölle. Das ist eine No-Future-Situation. Den Zustand muss man umgehend beenden, zumindest einmal für die Jugendlichen. SN: Welche Möglichkeiten gibt es, den Jugendstrafvollzug zu verbessern? Jarolim: Ich plädiere für eine eigene Einrichtung, in der der offene Vollzug forciert wird, die Zellen sollten Tag und Nacht offen sein. Unterricht und Sport sollten im Vordergrund stehen. Ich kann mir auch den Einsatz der elektronischen Fußfessel vorstellen. Man muss den Jugendlichen signalisieren, dass sie nicht beiseite geschobener „Unwert“sind.