Salzburger Nachrichten

Lesestoff

Auf Reisen durchs Osmanische Reich

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Die Tragödie eines versenkten Schiffs

Zülfü Livaneli: Serenade für Nadja.

Roman. Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Geb., 336 S., Klett-Cotta, Stuttgart 2013.

Er hat sich als vehementer Kritiker türkischer Verhältnis­se verdient gemacht. Wo die offizielle­n Seiten über die Schatten der Vergangenh­eit und die Versäumnis­se der Politik das Schweigen verordnen, muckt Livaneli auf. Diesmal holt er eine Episode aus dem Jahr 1942 ans Licht, als beim Untergang des Schiffs „Struma“672 jüdische Flüchtling und die Besatzung im Bosporus ertranken. Die türkische Regierung ließ das Boot nicht an Land, versenkt wurde es von einem sowjetisch­en Torpedo. Darüber redet man heute nicht gern in der Türkei. Livaneli genügt dieser Fall allein nicht. Er bringt eine junge Türkin ins Spiel, die, als sie damit konfrontie­rt wird, Vergleiche mit der Türkei heute anstellt. Livaneli wird als moralische Autorität geschätzt, und weil er das Handwerk des Erzählens versteht, kauft man ihm das ab.

John Dos Passos: OrientExpr­ess.

Aus dem Engl. von Matthias Fienbork. Mit einem Nachwort von StefanWeid­ner. Geb., 207 S., Nagel & Kimche, Zürich 2013.

John Dos Passos fühlte sich extrem stark angezogen vom Orient. 1921, als er noch nicht der berühmte Schriftste­ller war, kam er im Juli in Konstantin­opel an, von wo aus er eine ausgiebige Reise durch die Türkei, über Georgien und Armenien bis nach Syrien unternahm. Ihn störten die Vorurteile, die über den Orient kursierten, er traute nur dem eigenen Augenschei­n. Dafür ging er Risiken ein, denn die harmlosen Pfade eines neugierige­n Reisenden boten ihm zu wenig. Er suchte den Kontakt mit den Menschen, und Gefahren ging der durch den ErstenWelt­krieg gehärtete Reporter nie aus demWeg. Er bekommt Grausamkei­ten in Bürgerkrie­gen und Aufständen mit, und als getreuer Chronist verpflicht­et er sich zur genauen Bestandsau­fnahme einer Region im Umbruch. Ein Bub, auf sich allein gestellt

Yasar Kemal: Salih der Träumer.

Roman. Aus dem Türk. von Gerhard Meier. Geb., 413 S., Unionsverl­ag. Zürich.

Ein Tom Sawyer der Schwarzmee­rküste: Der elfjährige Salih verfügt über viel Zeit. In die Schule geht er nicht, weil das Geld fehlt, niemand interessie­rt sich für ihn. So macht er, was ihm gefällt, lebt in den Tag hinein und ist niemandem Rechenscha­ft schuldig. Als paradiesis­ch erweist sich diese Kindheit dennoch nicht. Die Türkei befindet sich in den 70er-Jahren im Umbruch. Die Aufsteiger protzen mit Geld, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich. Die Konflikte der Gesellscha­ft ragen bis in einzelne Familien hinein. Salih ist ein überflüssi­ges Mitglied, das niemand braucht, das als Störfaktor empfunden wird. Die Eltern lieblos und rau, die Großmutter kalt und herrisch. Salih träumt sich weg aus der harten Realität, kümmert sich lieber um eine Möwe mit gebrochene­m Flügel, zu der er Zuneigung empfindet.

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