Österreich soll vor Uno-tribunal Präsidentenmaschine durchsucht
Zwangshalt. Zwischenstopp löst diplomatische Krise zwischen Europa und Lateinamerika aus.
WIEN, LA PAZ (SN). Der Botschafter Boliviens in Genf, Sacha Llorenti Soliz, hat Österreich beschuldigt, den bolivianischen Präsidenten Evo Morales „gekidnappt“zu haben. Wegen der Untersuchung der Präsidentenmaschine auf demWiener Flughafen werde Bolivien Klage bei der UNO einreichen. Österreich habe mit dieser Aktion einen „Akt der Aggression“begangen und das Völkerrecht verletzt.
„So etwas ist mir noch nie widerfahren“, empörte sich Boliviens Staatschef Evo Morales. Auf der Heimreise von Moskau nach Lateinamerika stand seine Präsidentenmaschine auf dem FlughafenWien-Schwechat rund 13 Stunden am Boden – weil Frankreich, Spanien, Portugal und Italien die Überflugrechte verweigert hatten. Wegen des Verdachts, an Bord könnte sich der von den USA gesuchte Ex-Geheimdienstler Edward Snowden befinden. Das Gerücht erwies sich als falsch und hat unabsehbare diplomatische Verwicklungen zur Folge. Mehrere lateinamerikanische Staaten sehen im Vorgehen der Europäer eine „imperiale Arroganz“und einen „Hauch von Kolonialismus“. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hält den europäischen Staaten vor, mit der Verweigerung der Überflugrechte das Leben des bolivianischen Präsidenten in Gefahr gebracht zu haben. Ecuadors Staatschef Rafael Correa schreibt auf Twitter: „Unglaublich! Sie sperren den europäischen Luftraum für das Flugzeug von Evo Morales. Wollen sie uns danach noch etwas von gemeinsamen Gipfeltreffen der EU und Lateinamerikas erzählen?“
Venezuelas Außenminister Elías Jaua spricht von einem „Anschlag auf das Leben von Mora- les“, die Regierung in Nicaragua von einer „kriminellen Aktion“. Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner fordert die Einberufung einer Sondersitzung des südamerikanischen Staatenbundes Unasur.
Bolivien will bei den Vereinten Nationen Klage einreichen. „Wir warten auf eine Verbindung mit dem Generalsekretär (der UN), der auf Reisen ist, um eine formelle Klage einzureichen“, sagte Boliviens UN-Botschafter Sacha Llorenti in Genf. Für Botschafter Soliz geht es um „die Würde Boliviens und Südamerikas“.
WIEN (SN). Damit hatte Evo Morales wohl nicht gerechnet. Dass er, der bolivianische Präsident, ohne großes staatliches Brimborium mit Österreichs Staatsoberhaupt Heinz Fischer plaudern und anschließend noch mit Außenminister Michael Spindelegger einen Kaffee trinken kann. Ebenso ungewöhnlich der Ort der Begegnung, der Flughafen Wien-Schwechat. Denn dort saß Morales 13 Stunden unfreiwillig mit seiner Präsidentenmaschine fest, ehe er Montag gegen Mittag die Heimreise antreten konnte.
Mehrere europäische Staaten hatten Morales das Überflugrecht verweigert. Weil sie vermutet hatten, der von den USA dringend gesuchte Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden befinde sich in dem aus Moskau kommenden Privatjet. Ein Gerücht, das sich als falsch herausstellen sollte.
Entsprechend heftige Kritik übte das Staatsoberhaupt an Spanien, Italien, Frankreich und Portugal. Er sei in „Geiselhaft“genommen worden. So etwas habe er, der seit 2006 im Amt sei, noch nie erlebt. Die für seine Festhaltung in Wien verantwortlichen EU-Länder hätten einen „historischen Fehler“begangen. Der bolivianische Verteidigungsminister Ruben Saavedra, der Morales begleitete, bezeichnete die Gerüchte um Snowdens Anwesenheit in der Präsidentenmaschine als „absolute Lüge“und „Komplott“der USA. Es sei „eine große Überraschung“gewesen, dass Frankreich „in letzter Minute“die Überfluggenehmigung verweigert habe.
Als besonders dreist empfand Präsident Morales das Vorgehen der spanischen Regierung. Diese habe als Vorbedingung eine In- spektion der Maschine verlangt. Den Vorschlag des spanischen Botschafters in Wien, mit ihm „einen Kaffee“in der Präsidentenmaschine zu trinken und über die Vorbedingungen zu sprechen, habe er abgelehnt. Der Vorschlag bedeute eine Verletzung des Völkerrechts, hielt Morales fest. „Ich bin ja kein Krimineller.“Er wies jede Verbindung zu Snowden zurück. „Ich habe mit der Sache nichts zu tun“, sagte er der spanischen Nachrichtenagentur EFE. Bislang habe er gar nicht genau gewusst, wer dieser Snowden überhaupt sei. „Ich kannte nicht einmal seinen vollständigen Namen.“
Ob die bolivianische Delegation der österreichischen Polizei eine „freiwillige Nachschau“in der Maschine gewährt hat, ist umstritten. Morales betonte, er habe einer Durchsuchung nicht zugestimmt. Karlheinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, sagt: „Eine Durchsuchung einer Präsidentenmaschine ist wegen des Schutzes der Immunität nur mit Zustimmung möglich. Und die hat es gegeben.“Jedenfalls sprach Morales gegenüber Österreich seinen ausdrücklichen Dank aus, er sei hier exzellent behandelt worden. Präsident Fischer erhielt zudem gleich eine Einladung zu einem Besuch in La Paz.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) reagierte em- pört auf den unfreiwilligen Zwischenstopp und forderte eine Erklärung. „Nichts kann eine Handlung solcher Respektlosigkeit gegen das höchste Amt eines Landes rechtfertigen“, erklärte OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza in Washington. Ecuador und Argentinien forderten die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung des südamerikanischen Staatenbundes Unasur, um gegen das Überflugverbot Protest einzulegen.
Ex-Geheimdienstagent Snowden macht seit Wochen Datenspionage der USA und Großbritanniens im großen Stil öffentlich. Nach seiner Flucht vor der USJustiz aus Hongkong sitzt Snowden seit über einer Woche am Moskauer Flughafen Scheremetjewo fest. Es wird vermutet, dass er sich derzeit noch dort aufhält. Die USA haben seinen Pass annulliert. Snowden hat in einer Vielzahl von Staaten, darunter Deutschland, politisches Asyl beantragt – bisher vergeblich.
Die Oppositionsparteien FPÖ, Grüne und BZÖ sprachen von einem Armutszeugnis für die EU. Alle drei forderten die österreichische Regierung auf, in der Abhöraffäre gegenüber den USA Flagge zu zeigen bzw. sich auch in der EU dafür einzusetzen. Zudem wünschen sie sich Asyl für Edward Snowden in Europa bzw. Österreich. Die Glaubwürdigkeit der europäischen Grund- und Menschenrechtspolitik stehe auf dem Spiel. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache forderte, Snowden Zuflucht zu gewähren, denn „dieser Mann ist ein Held“.