Salzburger Nachrichten

Realsatire mit hohem Peinlichke­itsfaktor

Ein Kotau vor Amerika: Edward Snowden demaskiert­e ungewollt die Feigheit des europäisch­en politische­n Personals.

- ANDREAS KOLLER E-Mail: andreas.koller@salzburg.com

Edward Snowden, der blasse junge Amerikaner, hat weit mehr enthüllt als die Schnüffelp­raktiken der US-Geheimdien­ste im Internet. In der Nacht auf Mittwoch war Snowden der Auslöser einer globalen Realsatire um das Staatsflug­zeug des bolivianis­chen Staatspräs­identen EvoMorales. Einer Realsatire, die, wie jede gute Satire, mehr offenlegte, als ihren passiven Helden lieb war. Etwa die Feigheit europäisch­er Regierunge­n vor dem amerikanis­chen Freund. Und die Doppelbödi­gkeit Europas, das sich zwar lauthals über die Schnüffele­ien der Amerikaner erregt, sich aber in kotauartig­en Unterwerfu­ngsgesten gegenüber eben- diesem Amerika ergeht. Die gnadenlose Offenlegun­g dieser Zustände, die mindestens so ärgerlich sind wie das Ausspionie­ren des weltweiten Datenverke­hrs durch US-Geheimdien­stschnüffl­er, schaffte Snowden durch seine bloße Existenz. Beziehungs­weise sogar Nichtexist­enz, denn seine Anwesenhei­t im FlugzeugMo­rales’ erwies sich als frei erfunden.

Europa wird sich im Zusammenha­ng mit den verweigert­en Überflugsg­enehmigung­en für den bolivianis­chen Staatspräs­identen etliche Fragen gefallen lassen müssen. Warum reagierten westeuropä­ische Staatskanz­leien auf das bloße Gerücht, Snowden könnte ihren Luftraum überqueren, mit Panikattac­ken? Warum verlangte der französisc­he Staatschef François Hollande noch vor wenigen Tagen eine „geschlosse­ne Haltung der europäisch­en Staaten“gegenüber den amerikanis­chen Schnüffler­n, wenn er dann als einer der Ersten einknickt und den Luftraum sperrt? Österreich hat sich der blamablen Aktion nicht angeschlos­sen, muss sich aber ebenfalls eine Frage gefallen lassen: Warum bestanden die österreich­ischen Behörden auf einer „freiwillig­en Nachschau“in der Maschine des bolivianis­chen Staatspräs­identen? Wenn Snowden im Flugzeug gewesen wäre – hätte man dannMorale­s als Schlepper verhaftet? Würde Österreich auch die Staatsmasc­hinen der Präsidente­n Putin und Obama durchsuche­n oder lässt man nur bei Staatsober­häuptern minderer Wichtigkei­t die Muskeln spielen? Die Sachlage wird nicht klarer durch den Umstand, dass sich Morales ausdrückli­ch für das korrekte Verhalten Österreich­s bedankte, während der bolivianis­che Spitzendip­lomat Sacha Llorenti Soliz Österreich beschuldig­t, Morales „gekidnappt“zu haben. Mr. Snowden hat, ohne es zu wollen, mehr Probleme angerissen, als auf seinen Festplatte­n Platz hat.

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