Realsatire mit hohem Peinlichkeitsfaktor
Ein Kotau vor Amerika: Edward Snowden demaskierte ungewollt die Feigheit des europäischen politischen Personals.
Edward Snowden, der blasse junge Amerikaner, hat weit mehr enthüllt als die Schnüffelpraktiken der US-Geheimdienste im Internet. In der Nacht auf Mittwoch war Snowden der Auslöser einer globalen Realsatire um das Staatsflugzeug des bolivianischen Staatspräsidenten EvoMorales. Einer Realsatire, die, wie jede gute Satire, mehr offenlegte, als ihren passiven Helden lieb war. Etwa die Feigheit europäischer Regierungen vor dem amerikanischen Freund. Und die Doppelbödigkeit Europas, das sich zwar lauthals über die Schnüffeleien der Amerikaner erregt, sich aber in kotauartigen Unterwerfungsgesten gegenüber eben- diesem Amerika ergeht. Die gnadenlose Offenlegung dieser Zustände, die mindestens so ärgerlich sind wie das Ausspionieren des weltweiten Datenverkehrs durch US-Geheimdienstschnüffler, schaffte Snowden durch seine bloße Existenz. Beziehungsweise sogar Nichtexistenz, denn seine Anwesenheit im FlugzeugMorales’ erwies sich als frei erfunden.
Europa wird sich im Zusammenhang mit den verweigerten Überflugsgenehmigungen für den bolivianischen Staatspräsidenten etliche Fragen gefallen lassen müssen. Warum reagierten westeuropäische Staatskanzleien auf das bloße Gerücht, Snowden könnte ihren Luftraum überqueren, mit Panikattacken? Warum verlangte der französische Staatschef François Hollande noch vor wenigen Tagen eine „geschlossene Haltung der europäischen Staaten“gegenüber den amerikanischen Schnüfflern, wenn er dann als einer der Ersten einknickt und den Luftraum sperrt? Österreich hat sich der blamablen Aktion nicht angeschlossen, muss sich aber ebenfalls eine Frage gefallen lassen: Warum bestanden die österreichischen Behörden auf einer „freiwilligen Nachschau“in der Maschine des bolivianischen Staatspräsidenten? Wenn Snowden im Flugzeug gewesen wäre – hätte man dannMorales als Schlepper verhaftet? Würde Österreich auch die Staatsmaschinen der Präsidenten Putin und Obama durchsuchen oder lässt man nur bei Staatsoberhäuptern minderer Wichtigkeit die Muskeln spielen? Die Sachlage wird nicht klarer durch den Umstand, dass sich Morales ausdrücklich für das korrekte Verhalten Österreichs bedankte, während der bolivianische Spitzendiplomat Sacha Llorenti Soliz Österreich beschuldigt, Morales „gekidnappt“zu haben. Mr. Snowden hat, ohne es zu wollen, mehr Probleme angerissen, als auf seinen Festplatten Platz hat.