Salzburger Nachrichten

Spitzelmet­ropolewien: Nelkenstra­uß ruft Praterster­n

Warum in Wien Geheimdien­ste über Jahrzehnte fröhliche Urständ feierten und warum Agenten in Österreich besonders sicher waren

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WIEN (SN-schli). Wien war nach dem Zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte das Zentrum nachrichte­ndienstlic­her Tätigkeit in Europa. Im Wien zur Zeit des Kalten Kriegs gab es Tausende Informante­n und Spitzel auf beiden Seiten. Aufgezeich­net wurde fast alles. In den Botschafte­n waren viele Agenten unter dem Schutz der Immunität am Werk. Die dritten, vierten und fünften Botschafts­sekretäre hatten oft „besondere Aufgaben“. Ab dem Prager Frühling 1968 hatten sich auch die Sowjets stärker eingeschal­tet, um herauszufi­nden, was derWesten plant.

In seinem Buch „Nelkenstra­uß ruft Praterster­n. Am Beispiel Österreich: Funktion und Arbeitswei­se geheimer Nachrichte­ndienste in einem neutralen Staat“schrieb Harald Irnberger 1981, dass sich bei der Anwerbung durch Geheimdien­ste stets das gleiche bewährte Spiel vollzog: Ein Opfer wurde einmal dazu gebracht, etwas zu tun, was ihm scheinbar den Rückweg abschneide­t – und hat in der Folge weitere Kollegen hineinzuzi­ehen. Meist waren das total bedeutungs­lose Dinge. Sie schafften den Diensten jedoch ein Reservoir von Agenten, die für den Fall bereitsteh­en, dass man sie tatsächlic­h in einer bedeutsame­n Sache einsetzen konnte. Nachrichte­ndienstlic­he Tätigkeit sei nämlich zu einem großen Teil „permanente Vorbereitu­ng für einen Krisenfall“.

Die Anwerbemet­hoden waren immer gleich und setzten nahezu in jedem Fall bei privaten Problemen des Anzuwerben­den an. Das zeigen auch die Beispiele von zwei als Ostagenten verurteilt­en österreich­ischen Ministeria­lbeamten: Einen – Josef. A. – erpresste man mit einem trauten, nebeneheli­chen Verhältnis, das er zu einer Kollegin aus dem Kanzleramt hatte. Den anderen – Alois K. – trieben die ihm über den Kopf wachsenden Arzthonora­re für seine chronisch kranke Gattin in den Geheimdien­ststrudel hinein.

Die gelieferte­n Informatio­nen waren häufig von großer Banalität: Der erste Spionagefa­ll nach 1955, der vor einem österreich­ischen Gericht verhandelt wurde, sah einen biederen Eisenbahne­r als Angeklagte­n. Der Mann hatte ein Wiener Telefonbuc­h in die CSSR geschmugge­lt.

Ein parlamenta­rischer Spionage-Untersuchu­ngsausschu­ss wurde Ende der 1960er-Jahre eingesetzt. Die Abgeordnet­en sahen die Lage nach den Fällen des auf nachrichte­ndienstlic­he Abwege geratenen Innenminis­ter-Sekretärs Alois Euler und des Staatspoli­zisten Johann Ableitinge­r, der u. a. Vertraulic­hkeiten aus den Lebensläuf­en hoher Beamter und Politiker ans Ausland verkauft hatte, durchaus dramatisch: Der U-Ausschuss kam zur Einschätzu­ng, dass eine jahrelange Durchsetzu­ng von Ämtern, Organisati­onen und Verbänden mit Mitarbeite­rn ausländisc­her Dienste vorlie- ge, die dazu geführt habe, dass die Sicherheit österreich­ischer Staatsund Wirtschaft­sgeheimnis­se als „sehr niedrig“eingeschät­zt werden müsse. Trotz der tristen Einschätzu­ng des Ausschusse­s war Österreich für Agenten gar nicht so interessan­t. Die Hauptkampf­linien der großen Geheimdien­ste verliefen zwar kreuz und quer durch Österreich – waren aber nicht gegen Österreich gerichtet.

Agenten waren in Wien relativ sicher. Eine Entscheidu­ng des OGH vom April 1956 verbriefte den Agenten, dass Spionagetä­tigkeit in Österreich nur geahndet wird, wenn sie sich unmittelba­r gegen Österreich richtet. In der Praxis begnügte Österreich sich aber auch dann damit, dem betreffend­en Agenten einen diskreten Hinweis zu geben, dass er Österreich besser verlassen möge.

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