Ungarn driftet ins Abseits
Rüge. Ungarns Premier Viktor Orbán tobt. Die EU droht, seinem Land das Stimmrecht zu entziehen.
Das EU-Parlament macht mit einem langen Forderungskatalog Druck auf Ungarn. Das Land müsse die demokratischen Grundsätze einhalten, heißt es darin. Sonst würde dem Land sein Stimmrecht entzogen. „Bevormundung“, wettert Ungarns rechtsnationaler Premier Viktor Orbán. Höchste Zeit, findet der Oppositionelle Peter Juhasz.
SN: Was für eine Entscheidung wünschen Sie sich von der Abstimmung im Europäischen Parlament? Juhasz: Wir hoffen auf eine Entscheidung des Europäischen Parlaments, aus der zunächst eindeutig klar wird, dass Europa kein Problem mit dem Land Ungarn und seinen Menschen hat, son- dern – im Gegenteil – sich um die Rechte der ungarischen Staatsbürger sorgt und sich die Kritik an die Politik der Orbán-Regierung richtet. Diese Kritik sollte die Bereiche ansprechen, die auch wir, die demokratische Opposition in Ungarn, täglich anprangern: Dass sich die Regierung das Parlament unter den Nagel reißt, die Unabhängigkeit der Medien mit Füßen tritt, den sauberen Ablauf von Wahlen gefährdet und noch vieles mehr. Ich würde es begrüßen, wenn wir einem Monitoring-Verfahren unterzogen würden, wenn Europa genau hinsähe, was in Ungarn passiert, und auch Einfluss auf die Politik Orbáns nähme.
SN: Hat sich die Europäische Union bisher gegenüber Ungarn zu lasch verhalten? Juhasz: Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass ein Großteil der ungarischen Bürger den EUBeitritt Ungarns unterstützt hat. Nach der kommunistischen und sozialistischen Phase sehnten sich über 80 Prozent nach einer Wiederannäherung an Europa, nach einer langfristigen Bindung an einen Demokratie garantierenden Rahmen. Orbáns Politik der vergangenen drei Jahre, die tief greifenden Verfassungsänderungen, die Eingriffe in die Gewaltenteilung, die Zentralisierung der Macht bei seiner Partei Fidesz, weist genau in die entgegengesetzte Richtung. Deshalb würde ich mich freuen, wenn die EU hier Instrumente finden würde, um diesen Prozess aufzuhalten, damit Ungarn sich wieder in Richtung Europa zurückbewegt. SN: Der Debatte im Europäischen Parlament liegt ein Bericht des Abgeordneten Rui Tavares zugrunde, der eine lange Liste von Grundrechtsverletzungen in Ungarn aufzählt. Wo sehen Sie die problematischsten Verstöße? Juhasz: Am gewichtigsten sind die Eingriffe in das politische System: Dass Fidesz Ungarn unter Ausschluss aller anderen Parteien und ohne gesellschaftliche Konsultationen eine neue Verfassung auferlegt hat. Dass die Rechte des Verfassungsgerichts bis zur Machtlosigkeit beschnitten wurden. Die Abschaffung der Pressefreiheit ist ein weiteres Riesenproblem. Das, was heute im staatlichen Fernsehen läuft, kann nur als Propaganda bezeichnet werden. Das ist beschämend und bezeichnend für alles andere.