Wenn der Absturz kurz bevorsteht, ist alles egal
Ein Flugzeug in Schwierigkeiten ist der Schauplatz für erotische Wirrungen und laszive Witzchen in Pedro Almodóvars „Fliegende Liebende“
WIEN (SN). Jeder zweite junge Spanier hat keine Arbeit. Familien werden aus ihren Wohnungen geworfen, weil Banken Kredite nicht verlängern. Korruptionsfälle erschüttern Spanien. Und ausgerechnet jetzt dreht Pedro Almodóvar, der berühmteste Regisseur der spanischen Gegenwart, seine erste Komödie seit zwanzig Jahren, ein durchgedrehtes Kammerspiel voll erotischer Anspielungen, lasziver Witzchen und unkonventionellem Sex, und erreicht damit mehr Zuschauer als je zuvor in seinem Land. Wie passt das zusammen?
Das Wichtigste ist, sich gut zu amüsieren: „Fliegende Liebende“spielt in einem Flugzeug, das aufgrund eines technischen Gebrechens unmittelbar vom Absturz bedroht ist. Eine sichere Landung ist unwahrscheinlich und um Panik in der Touristenklasse zu verhindern, wurden den Passagieren schon längst Schlafmittel eingeflößt. Nur noch die Gäste der ersten Klasse sind wach und die Flugbegleiter bemühen sich tatkräftig, ihnen und sich die womöglich letzten Stunden ihres Da- seins zu versüßen: Tanzdarbietungen, leichte Drogen zur Entspannung, daraufhin erotische Annäherungen und diverse private und berufliche Geständnisse stehen auf dem Programm.
Da gesteht ein Topmanager, schuld an der Pleite eben jenes Flughafens zu sein, der die letzte Rettung bedeuten könnte. Die Chefin eines Escortservices plaudert aus, sie habe verhängnisvolle Videos von allen Mächtigen des Landes, bis hinauf zum König. Und der Kopilot hat endlich sein Coming-out, als einer der Flugbegleiter sich rührend um ihn kümmert: Das ganze Flugzeug ist Bühne für ein turbulentes Kammerspiel, in dem sich die spanischen Schauspielikonen, darunter Antonio Banderas und Penélope Cruz, mit sichtlichem Gusto danebenbenehmen.
In „Fliegende Liebende“ist der Absturz reale Möglichkeit, aber der Spaß ist deswegen noch lange nicht vorbei. Der Film taugt als leichte Unterhaltung wie als bitter-komische Parabel auf ein Land in schweren Turbulenzen und ist damit viel mehr als zuckerlbunter Eskapismus: Almodóvar macht sich lustig über die Mächtigen und behandelt zugleich jede seiner Figuren mit Wärme. „Ich wollte zuerst einen Film machen, der für die Spanier so etwas wie eine Flucht sein kann“, sagt er, „aber als die Krise schlimmer wurde, war es unmöglich, die Realität nicht miteinzubeziehen. Die Menschen in diesem Flugzeug, genau wie die Menschen in Spanien, kreisen und kreisen und haben keine Ahnung, ob es ihnen gelingen wird zu landen.“
Da passt dann doch wieder alles zusammen: Almodóvar ist auch einer jener Prominenten, die die friedlichen Proteste gegen die Delogierung von Familien unterstützen, und der zugleich davor warnt, die Stimmung im Land werde immer gewalttätiger. „Fliegende Liebende“ist damit womöglich der politischste Film, den Almodóvar seit Langem gemacht hat. Der verrückteste ist es auf jeden Fall. Kino: Fliegende Liebende, Komödie, Spanien 2013. Regie: Pedro Almodóvar, mit Antonio de la Torre, Hugo Silva, Miguel Ángel Silvestre, A. Banderas, Penélope Cruz. Ab 5. 7.