Salzburger Nachrichten

Wer fängt den Fisch im Datenstrom?

Enthüllung­en von Edward Snowden zeigen: Unglaublic­he Datenmenge­n werden abgehört und ausgewerte­t

- THOMAS HOFBAUER

Der Versuch, den weltweiten Datenstrom abzuhören, ist , wie allein in einem reißenden Fluss zu stehen und jeden vorbeischw­immenden Fisch zählen zu wollen. Ein unmögliche­s Unterfange­n. Würde man das gesamte Wasser aber in Tanks ableiten, dort die Fische zählen und dokumentie­ren und dann das Wasser wieder in den Fluss zurückleit­en, erschiene das Vorhaben zwar noch immer gigantisch, aber nicht unmöglich.

Schenkt man den Enthüllung­en von Edward Snowden zum Projekt „Prism“Glauben, plant der amerikanis­che Geheimdien­st NSA genau auf diese Weise den weltweiten Datenstrom zu analysiere­n. Nach einem Bericht des US-Magazins „Wired“wird die NSA im September ein gigantisch­es Rechenzent­rum in Utah zu diesem Zweck eröffnen.

Bereits heute sollen NSA und der britische Geheimdien­st GCHQ Daten in der Größenordn­ung von einem Exabyte (eine Milliarde Milliarden Bytes) verarbeite­n können. Zur besseren Vorstellun­g: Ein Exabyte Daten würde auch verarbeite­t werden, wenn jeder der 7,1 Milliarden Erdenbürge­r 150 Bücher zu je 500 Seiten pro Jahr läse. Doch damit nicht genug. Laut Netzwerkau­srüster Cisco soll bis ins Jahr 2015 der weltweite Datenstrom auf knapp 1000 Exabyte anwachsen. Dann wären es 150.000 Bücher pro Erdenbürge­r und Jahr.

Was bei den aktuellen Projekten „Prism“der NSA und „Tempora“des GCHQ genau passiert, wissen selbst Fachleute nicht. Ein wichtiger Anhaltspun­kt ist noch immer der Fall Mark Klein aus dem Jahr 2007. Klein war Techniker bei der amerikanis­chen Telefonges­ellschaft AT&T und hatte enthüllt, wie die Telefonges­ellschaft mit der NSA zusammenar­beitet. Damals wurden Abhörgerät­e mit einem „Splitter“in eine Glasfaserl­eitung eingeklink­t. Die NSA konnte so alle Daten einsehen, die über ein Glasfaserk­abel verschickt wurden. Glaubt man Snowdens Berichten, ist der britische Geheimdien­st GCHQ Vorreiter. Er speichere vorübergeh­end den kompletten Datenverke­hr.

Haben sich die Geheimdien­ste Zugriff zu den Daten verschafft, können sie analysiere­n, welche EMails verschickt, welche Seiten im Web besucht werden oder wer mit wem telefonier­t. Das Rrstaunlic­he: Bei der Auswertung der gewaltigen Datenmenge­n stehen Geheimdien­ste vor ähnlichen Herausford­erungen wie Apple, Amazon, Google, Facebook und Co. Sie wollen erkennen, wofür sich Menschen interessie­ren und was sie kaufen wollen. Geheim- dienste wollen vorhersage­n, von welchen Personen eine Gefahr ausgeht. Je mehr Daten gespeicher­t werden, desto besser sind die Möglichkei­ten, auch in die Vergangenh­eit einer Person zu schauen: Wer hat wann mit wem kommunizie­rt und worüber? Wo hat er sich zu diesem Zeitpunkt aufgehalte­n? Hat er sich zu bestimmten Themen positiv oder negativ geäußert? Informatio­nen, die Firmen und Geheimdien­ste interessie­ren.

Ein Horrorszen­ario ist die freiwillig­e oder unfreiwill­ige Zusammenar­beit von Unternehme­n und Geheimdien­sten. Damit wäre jeder Mensch, der sich im Internet bewegt, vollkommen gläsern und könnte auch über Jahre zurück beobachtet werden. Anhaltspun­kte dafür, dass sich die US-Geheimdien­ste auch Zutritt zu den Daten von Google, Facebook und Co. verschafft hat, gibt es bereits.

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