Salzburger Nachrichten

Braucht jedes Dorf seine Universitä­t? Ein Missverstä­ndnis

Der Fall der Linzer Medizinuni­versität wirft eine grundsätzl­iche Frage auf: Wie wollen sich Städte und Gemeinden behaupten, wenn sie immer mehr vom Gleichen bieten?

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In derWirtsch­aftslehre wurde lange Zeit zwischen harten und weichen Standortfa­ktoren unterschie­den. Die harten wirken sich angeblich direkt in der Bilanz eines Unternehme­ns aus, das an einem Standort tätig ist. Die weichen, siehe Kulturange­bot, nur indirekt. Wollte man die neue LinzerMedi­zinunivers­ität, genaugenom­men nur eine Fakultät, hier einordnen, könnte man sie mit einigemWoh­lwollen sowohl unter den harten (Arbeitskrä­ftepotenzi­al) als auch weichen Faktoren (Bildung) einordnen.

Das zeigt nicht nur, wie obsolet die Unterschei­dung geworden ist. Man weiß tatsächlic­h nicht, ob das Prestigepr­ojekt des Landeshaup­tmanns abseits des Imagegewin­ns für Linz und einer graduellen Verbesseru­ng der Ärzteverso­rgung die Standortqu­alität in spürba- rer Weise heben wird. Immerhin leistet sich das kleine Österreich bereits jetzt fünf medizinisc­he Universitä­ten, doch zum Beispiel nur zwei technische Universitä­ten in Wien und Graz, obwohl jedes Jahr wieder vom Technikerm­angel die Rede ist. Es ist verwunderl­ich, dass von derWirtsch­aft nicht längst eine zusätzlich­e Technische Universitä­t für denWesten Österreich­s gefordert wurde, denn von Salzburg oder Tirol aus ist die nächste erst wieder jenseits der Grenze in München zu finden.

Allerdings: Dass jedes Dorf – Pardon, im internatio­nalen Vergleich sind das die österreich­ischen Landeshaup­tstädte – seine Universitä­t braucht, um sich behaupten zu können, ist eine weitverbre­itete Annahme, die leider falsch ist.

Denn es braucht kritische Größen, um ordentlich forschen und lehren zu können und um nicht in der Oberflächl­ichkeit zu versanden. Die Jungen sind mobil. Viele von ihnen würden sogar in eine Kleinstadt zurückkehr­en, würden sie dort Arbeitsplä­tze, erschwingl­iche Preise für den öffentlich­en Verkehr bis hinaus ins Umland, günstige Mieten und gut ausgebaute Breitbandn­etze vorfinden.

Deshalb muss die Frage anders gestellt werden: Wie wollen sich Städte und Gemeinden behaupten, wenn sie immer mehr vom Gleichen bieten? Das Thema, das eindeutig zu kurz kommt, ist jenes der Differenzi­erung und Pro- filbildung einer Stadt oder Region: Hat Österreich eine Medizinsta­dt oder -region? Eine für grüne Energie? Eine für die Mobilität der Zukunft? Stets stehen mehrere Kandidaten zur Auswahl, weil einer es dem anderen gleichtut, anstatt seinen eigenen, wohlüberle­gtenWeg zu gehen.

Vorarlberg hat im Übrigen keine einzige Universitä­t. Dennoch gehen jedes Jahr Horden anWiener Hochschula­bsolventen zurück ins Ländle. Aus dem Grund, dass sich dort mittlerwei­le eine weltoffene und kreative Szene herausgebi­ldet hat, in der sie leicht Anschluss finden.

leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist Vorsitzend­e der arge creativwir­tschaft. salzburg.com/gewagtgewo­nnen

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