Ex-pater soll zwölf Jahre in Haft
Stift Kremsmünster. Ein ehemaliger Konviktsleiter wurde sexueller Übergriffe und anderer Gewalttaten auf Zöglinge schuldig erkannt. Es könnte die Spitze des Eisbergs sein.
STEYR (SN, APA). Man weiß nicht, was in den vergangenen drei Tagen hinter verschlossenen Türen im Verhandlungssaal in Steyr vorgegangen ist – die Öffentlichkeit war ja ausgeschlossen.
Es ließ aber doch tief blicken, wenn der Vorsitzende des Schöffengerichts, Richter Wolf-Dieter Graf, am Mittwoch bei der (wieder öffentlichen) Urteilsverkündigung feststellte: „Die Dauer der Vorfälle und die Gleichgültigkeit des Angeklagten übersteigt alles Dagewesene.“Der Angeklagte, ein heute 79-jähriger ehemaliger Ordensmann und Konviktsdirektor im Stift Kremsmünster, nahm das Urteil jedenfalls mit stoischer Ruhe auf: zwölf Jahre Haft. 15 wären möglich gewesen. Dann meldete er Berufung an.
Der seit dem Vorjahr laisierte Ex-Geistliche wurde im Zeitraum zwischen 1973 und 1993 des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses, des Quälens und Vernachlässigens Unmündiger und des unerlaubten Besitzes einer Pumpgun schuldig erkannt. Was sich hinter dieser trockenen juristischen Wertung verbarg, waren: gravierende sexuelle Übergriffe, die 18 Opfer geschildert hatten und unter denen sie psychisch bis heute leiden, brutale Gewalt an elf weiteren Zöglingen durch Schläge mit einer Ochsenpeitsche, Tritten, Ausreißen von Haaren oder dadurch, dass sie der damalige Konviktsleiter für „vogelfrei“erklärt und damit der konsequenzlosen Drangsalierung durch andere Schüler ausgesetzt hatte.
Staatsanwältin Dagmar Geroldinger sagte in ihrem Plädoyer: Der Angeklagte habe zwar ein Geständnis abgelegt, ob es reumütig sei, lasse sie dahingestellt. Der Ex-Pater habe angegeben, bereits in seiner Jugend eine pädophile Neigung an sich bemerkt zu haben und sei trotzdem Erzieher geworden. Er habe sich damit verantwortet, dass er den „Versuchungen“im Schulbetrieb nicht immer habe widerstehen können. „Aber es mangelt an der subjektiven Ein- sicht seinerseits“, so die Staatsanwältin. Ganz ähnlich sahen das die Opferanwälte, die die misshandelten ehemaligen Zöglinge vertraten: Die zu Prozessbeginn vorgelesene Entschuldigung sei lediglich ein „Heischen nach einem Milderungsgrund“, ernst sei sie nicht gemeint. Ein Opfervertreter sagte, es habe sich um „gravierendste und für mich schockierende Übergriffe“auf junge Menschen gehandelt, die noch heute darunter leiden. Einige hätten später Alkohol- und Drogenprob- leme bekommen oder Selbstmordversuche verübt.
Neun ehemalige Stiftszöglinge hatten sich dem Verfahren als Privatbeteiligte mit Schmerzensgeldforderungen in Höhe von 50.000 bis 550.000 Euro angeschlossen. Der Ex-Pater habe nicht einmal den geringsten Anspruch von 500 Euro anerkannt, kritisierte einer der Opferanwälte.
Der Verteidiger sagte, es stehe außer Zweifel, dass sein Mandant die Taten zum Großteil begangen habe; aber er sehe die Vorwürfe als verjährt an und sei daher freizusprechen. Der Richter ersuchte die Opfer um Verständnis, dass es nicht Kompetenz des Strafgerichts sei, das Verhalten anderer Akteure über die Anklage hinaus zu beleuchten (45 Opfer hatten sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe an die Diözesane Kommission gegen Missbrauch und Gewalt gewendet, 38 an die KlasnicKommission). „In einem anderen Umfeld wären diese Vorfälle unmöglich gewesen“, so der Richter.
Dennoch müsse er die Schmerzensgeldansprüche auf den Zivilrechtsweg verweisen, weil nach Ansicht des Gerichts Amtshaftungsansprüche gegen die Republik vorlägen (Missbrauch in einer öffentlichen Schule).
Das Stift Kremsmünster, das bisher 700.000 Euro an Betroffene gezahlt hat, begrüßte das Urteil. Man nimmt an, dass der Prozess nur die Spitze des Eisbergs in der Affäre beleuchtet hat. Gegen fünf Ordensmänner und acht weitere Personen gab es Ermittlungen, die letztlich eingestellt wurden.