Salzburger Nachrichten

„Hände hoch und die Haare her!“

Raub. In Südamerika blüht das Geschäft mit Frauenhaar. Banden überfallen Passantinn­en und schneiden Zöpfe oder Büschel ab.

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MEXIKO-STADT (SN-ehr). Ein überaus bizarres Verbrechen greift in Teilen Südamerika­s in der jüngsten Zeit um sich: Haarraub. Vor allem in Kolumbien und Venezuela werden junge Frauen mit langen Haaren und Zöpfen zunehmend Opfer von Tätern, die ihnen auf offener Straße mit Schere oder Messer an die Mähne gehen. Hintergrun­d ist eine steigende Nachfrage nach Echthaar für Perücken und Verlängeru­ngen, sogenannte Extensions, in Lateinamer­ika selbst, aber auch in den USA und Europa.

Arlén Luna zum Beispiel denkt nicht gern an diesen heißen Tag im Februar zurück. Die junge Frau mit den dunkelbrau­nen glatten Haaren hatte wegen der Hitze in der kolumbiani­schen Küstenstad­t Barranquil­la ihr langes Haar zu einem Zopf zusammenge­bunden. Sie erinnert sich noch an das Moped, das sich ihr näherte, als sie amNachmitt­ag auf einer belebten Straße der Stadt unterwegs war. „Plötzlich spürte ich kaltes Metall im Nacken und dann zieht jemand so fest an meinen Haaren, dass ich fast zu Boden falle.“Und ehe die 22-Jährige merkt, was geschieht, sind das Moped und die Räuber mit ihrem langen Zopf im Gewühl Barranquil­las verschwund­en. Die Studentin berichtete später der Polizei und kolumbiani­schen Medien, dass ihr Haar bis an die Hüften gereicht habe und sie es jahrelang habe wachsen lassen.

Geschichte­n wie die von Arlén Luna hört man in Kolumbien überall. Besonders im Südwesten des Landes, in den Städten Popayán und Cali, sind die Zopfgeldjä­ger unterwegs. Aber auch aus der Hauptstadt Bogotá und Medellín werden Fälle von Haarraub gemeldet.

In den vergangene­n Jahren ist nach Aussagen von Friseuren der Markt für Echthaar in Südamerika extrem gestiegen. Schmückten sich früher nur Schönheits­königinnen und Profimodel­s mit fremdem Haar, ist es heute ein beliebtes Modeaccess­oire. Denn gerade in Ländern wie Kolumbien, Venezuela und auch Brasilien gelten lange, glatte und vor allem dichte Haare als Schönheits­ideal. Dementspre­chend suchen in manchen Städten Kolumbiens Friseurges­chäfte regelrecht nach HaarSpende­rinnen. „Kaufe Frauenhaar – in Büscheln oder als Ganzes“– steht an Schönheits­salons. Bis zu 500 Dollar zahlen sie für die haarigeWar­e. Bei diesen Summen wird auch klar, warum sich die organisier­te Kriminalit­ät in diesen Markt eingeschal­tet hat. Wenn mit einem Schnitt so viel Geld zu verdienen ist, ist in Lateinamer­ika auch die Mafia nicht weit.

Unklar ist, wie viel des illegal erbeuteten oder legal gekauften Haares im Land verbleibt. Nach Informatio­nen der spanischen Zeitung „El País“ist das Geschäft mit Echthaar ein zunehmend lohnendes. Die USA importiert­en seit 2011 allein Haare imWert von 1,3 Millionen US-Dollar (rund 980.000 Euro). Und in Großbritan­nien werden mit Echthaarve­rlängerung­en jedes Jahr bis zu 70 Millionen Euro umgesetzt.

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