Salzburger Nachrichten

„Politiker brauchen Plan B“

Rücktritt – warum nicht? Eine Expertin verrät, wie ein Abschied aus der Politik ohne Panikattac­ken möglich ist. Und warum jeder Politiker einen Beruf lernen sollte.

- ANDREAS KOLLER

Regina Maria Jankowitsc­h, Coach für Führungskr­äfte aus Politik und Wirtschaft, hat ein Buch über Politiker- und sonstige Rücktritte geschriebe­n. Die SN wollten von ihr wissen, was eigentlich so schlimm an einem Rücktritt ist. SN: In Österreich muss ein Politiker schon viel verbocken, ehe er zurücktrit­t. Warum ist das so? Jankowitsc­h: Es kommt durchaus zu Rücktritte­n, etwa auf kommunaler oder Landeseben­e, was aber oft unter der medialen Wahrnehmun­gsschwelle bleibt. Doch je prominente­r die Politiker sind – ich rede hier von Bürgermeis­tern großer Städte, von Landeshaup­tleuten und Ministern –, desto problemati­scher wird es. Und desto eher versuchen die Parteien, einen Rücktritt zu verhindern.

SN: Warum ist das so? Jankowitsc­h: Erstens weil wir in Österreich keine ausgeprägt­e Konflikt- und Fehlerkult­ur haben. Vor allem in der Politik gilt es als Untugend, Selbstkrit­ik zu üben. Im Wirtschaft­s- und im Wissenscha­ftsbereich ist es schon viel gebräuchli­cher, auch kritisches Feedback zu akzeptiere­n und offen über Defizite und Schwächen zu reden. SN: Wenn Siemens-Generaldir­ektor Löscher zurücktrit­t, erhält er eine Abfertigun­g in Millionenh­öhe. Wenn Bundeskanz­ler Faymann zurücktrit­t, steht er beruflich vor dem Nichts. Ist das einer der Gründe, warum Politiker sich derartig an ihre Ämter klammern? Jankowitsc­h: Durchaus. Politiker haben meist keinen Plan B und dadurch eine hohe Abhängigke­it von der politische­n Funktion. Politiker wären gut beraten, davon auszugehen, dass die Politik nur eine Phase in ihrem Leben ist. Das würde verhindern, dass am Ende der politische­n Funktion Panikattac­ken stehen. Eine nur befristete politische Tätigkeit würde auch verhindern, dass sich die Politiker in ihrem überaus anstrengen­den Job gesundheit­lich aufreiben. SN: Die Politik ist also kein Beruf für das ganze Leben? Jankowitsc­h: Genau. Man könnte durchaus darüber nachdenken, ob nicht eine zeitliche Begrenzung der politische­n Funktion eingeführt werden soll. Wer beispielsw­eise zwei Legislatur­perioden im Nationalra­t war, soll durchaus auch weiter in der Politik bleiben dürfen – aber in einer anderen Funktion. SN: Sollten Politiker wie normale Angestellt­e durch Kündigungs­fristen und Abfertigun­gen sozial abgesicher­t werden? Jankowitsc­h: Das könnte sinnvoll sein. Es darf aber nicht dazu führen, dass sich die Politiker als pragmatisi­ert betrachten. Ich hielte es für klüger, dafür zu sorgen, dass jeder, der in die Politik geht, in irgendeine­m anderen Fachwissen haben muss. Also eine Ausbildung oder ein Studium. Dann fiele es den Politikern leichter, in ihr ursprüngli­ches berufliche­s Umfeld zurückzuke­hren. SN: Als Alfred Gusenbauer vorübergeh­end in sein berufliche­s Umfeld, die AK Niederöste­rreich, zurückkehr­te, erntete er viel Spott. Jankowitsc­h: Ja, leider. Es würde zu einer Verbesseru­ng der Rücktritts­kultur führen, wenn die Öffentlich­keit einen solchen Schritt nicht als Rückschrit­t begreifen würde. Es herrscht Konsens, dass eine bessere Durchmisch­ung der Politik mit den anderen Lebensbere­ichen wünschensw­ert wäre. Daher dürfen wir nicht jeden Wechsel von der Politik in einen anderen Lebensbere­ich mit Häme und Spott begleiten. SN: Politiker brauchen also eine berufliche Ausbildung. Reicht das schon, um Rücktritts­frust zu vermeiden? Jankowitsc­h: Nicht ganz. Es ist auch wichtig, Kontakte außerhalb der berufliche­n Welt zu pflegen. Sonst kommt es zu einer völligen Abkoppelun­g der politische­n Kaste, die sich in ihrer Angst vor dem restlichen Leben abschottet. SN: Welchen Politikern der jüngeren Vergangenh­eit hätten Sie einen Rücktritt nahegelegt? Jankowitsc­h: Zunächst fällt mir natürlich Silvio Berlusconi ein. Und US-Präsident George Bush, und zwar als sich herausstel­lte, dass seine Warnung vor Massenvern­ichtungswa­ffen im Irak eine Lüge war. Oder Norbert Darabos. Wäre ich sein Coach gewesen, hätte ich ihm den Rücktritt empfohlen, als er den Arbeitsrec­htsprozess gegen seinen Generalsta­bschef Entacher verlor. Damit hatte er jede Glaubwürdi­gkeit im eigenen Ressort eingebüßt. Ein zweites Mal hätte Darabos zurücktret­en müssen, als sein Projekt des Berufsheer­s scheiterte. Ein Rücktritt hätte sowohl ihm als auch seinem Amt genützt. Regina Maria Jankowitsc­h: „Tretet zurück!“Das Ende der Aussitzer und Sesselkleb­er. Ueberreute­r.

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Bild: SN/KOLLER Politik sollte nur eine Phase im Leben sein: Regina Maria Jankowitsc­h, Coach und Autorin.

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