„Politiker brauchen Plan B“
Rücktritt – warum nicht? Eine Expertin verrät, wie ein Abschied aus der Politik ohne Panikattacken möglich ist. Und warum jeder Politiker einen Beruf lernen sollte.
Regina Maria Jankowitsch, Coach für Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft, hat ein Buch über Politiker- und sonstige Rücktritte geschrieben. Die SN wollten von ihr wissen, was eigentlich so schlimm an einem Rücktritt ist. SN: In Österreich muss ein Politiker schon viel verbocken, ehe er zurücktritt. Warum ist das so? Jankowitsch: Es kommt durchaus zu Rücktritten, etwa auf kommunaler oder Landesebene, was aber oft unter der medialen Wahrnehmungsschwelle bleibt. Doch je prominenter die Politiker sind – ich rede hier von Bürgermeistern großer Städte, von Landeshauptleuten und Ministern –, desto problematischer wird es. Und desto eher versuchen die Parteien, einen Rücktritt zu verhindern.
SN: Warum ist das so? Jankowitsch: Erstens weil wir in Österreich keine ausgeprägte Konflikt- und Fehlerkultur haben. Vor allem in der Politik gilt es als Untugend, Selbstkritik zu üben. Im Wirtschafts- und im Wissenschaftsbereich ist es schon viel gebräuchlicher, auch kritisches Feedback zu akzeptieren und offen über Defizite und Schwächen zu reden. SN: Wenn Siemens-Generaldirektor Löscher zurücktritt, erhält er eine Abfertigung in Millionenhöhe. Wenn Bundeskanzler Faymann zurücktritt, steht er beruflich vor dem Nichts. Ist das einer der Gründe, warum Politiker sich derartig an ihre Ämter klammern? Jankowitsch: Durchaus. Politiker haben meist keinen Plan B und dadurch eine hohe Abhängigkeit von der politischen Funktion. Politiker wären gut beraten, davon auszugehen, dass die Politik nur eine Phase in ihrem Leben ist. Das würde verhindern, dass am Ende der politischen Funktion Panikattacken stehen. Eine nur befristete politische Tätigkeit würde auch verhindern, dass sich die Politiker in ihrem überaus anstrengenden Job gesundheitlich aufreiben. SN: Die Politik ist also kein Beruf für das ganze Leben? Jankowitsch: Genau. Man könnte durchaus darüber nachdenken, ob nicht eine zeitliche Begrenzung der politischen Funktion eingeführt werden soll. Wer beispielsweise zwei Legislaturperioden im Nationalrat war, soll durchaus auch weiter in der Politik bleiben dürfen – aber in einer anderen Funktion. SN: Sollten Politiker wie normale Angestellte durch Kündigungsfristen und Abfertigungen sozial abgesichert werden? Jankowitsch: Das könnte sinnvoll sein. Es darf aber nicht dazu führen, dass sich die Politiker als pragmatisiert betrachten. Ich hielte es für klüger, dafür zu sorgen, dass jeder, der in die Politik geht, in irgendeinem anderen Fachwissen haben muss. Also eine Ausbildung oder ein Studium. Dann fiele es den Politikern leichter, in ihr ursprüngliches berufliches Umfeld zurückzukehren. SN: Als Alfred Gusenbauer vorübergehend in sein berufliches Umfeld, die AK Niederösterreich, zurückkehrte, erntete er viel Spott. Jankowitsch: Ja, leider. Es würde zu einer Verbesserung der Rücktrittskultur führen, wenn die Öffentlichkeit einen solchen Schritt nicht als Rückschritt begreifen würde. Es herrscht Konsens, dass eine bessere Durchmischung der Politik mit den anderen Lebensbereichen wünschenswert wäre. Daher dürfen wir nicht jeden Wechsel von der Politik in einen anderen Lebensbereich mit Häme und Spott begleiten. SN: Politiker brauchen also eine berufliche Ausbildung. Reicht das schon, um Rücktrittsfrust zu vermeiden? Jankowitsch: Nicht ganz. Es ist auch wichtig, Kontakte außerhalb der beruflichen Welt zu pflegen. Sonst kommt es zu einer völligen Abkoppelung der politischen Kaste, die sich in ihrer Angst vor dem restlichen Leben abschottet. SN: Welchen Politikern der jüngeren Vergangenheit hätten Sie einen Rücktritt nahegelegt? Jankowitsch: Zunächst fällt mir natürlich Silvio Berlusconi ein. Und US-Präsident George Bush, und zwar als sich herausstellte, dass seine Warnung vor Massenvernichtungswaffen im Irak eine Lüge war. Oder Norbert Darabos. Wäre ich sein Coach gewesen, hätte ich ihm den Rücktritt empfohlen, als er den Arbeitsrechtsprozess gegen seinen Generalstabschef Entacher verlor. Damit hatte er jede Glaubwürdigkeit im eigenen Ressort eingebüßt. Ein zweites Mal hätte Darabos zurücktreten müssen, als sein Projekt des Berufsheers scheiterte. Ein Rücktritt hätte sowohl ihm als auch seinem Amt genützt. Regina Maria Jankowitsch: „Tretet zurück!“Das Ende der Aussitzer und Sesselkleber. Ueberreuter.