Wahl entscheidet 1000 Schicksale
Personalrochaden. Beamte, Manager, Vereine, Sekretäre – Wer amwahltag besonders mitzittert, weil es auch um ihn selbst geht.
Entscheidet die Wahl über die Person des Bundeskanzlers? Falsch. Entscheidet die Wahl über die 183 Abgeordneten? Richtig. Aber unvollständig. In Wahrheit entscheidet der Wähler am 29. September über das Schicksal von Tausenden Menschen und die Besetzung von Tausenden Posten in den Parteien, in der Verwaltung und in staatsnahen Betrieben.
Sogar in ausgegliederten Unternehmen, die offiziell gar nichts mehr mit der Politik zu tun haben, heißt es derzeit bei anstehenden Personalentscheidungen selbst auf unterer Ebene: „Jetzt warten wir einmal die Wahl ab.“
Denn die Chefs von ausgegliederten Unternehmen sind zumeist Günstlinge des vormals zuständigen Ministers. Bei einem Farbwechsel in der Regierung kommt also ein neuer Minister, der einen neuen Unternehmensvorstand bestellt. Und dem will man doch bei der Personalentscheidung nicht vorgreifen. – So entscheidet der Wähler indirekt auch über kleine Sachbearbeiter.
Auch andere Einrichtungen wie die Volksanwaltschaft, die Bundesheer-Beschwerdekommission oder der Behindertenanwalt des Bundes hängen von den Stärkeverhältnissen im Parlament und der Farbe des Ministers ab.
Unmittelbar sind die Folgen des Wahlergebnisses für den ORF, genauer gesagt für die Zusammensetzung des Stiftungsrats. Die Kanzlerpartei hat dort ein deutliches Übergewicht und also das entscheidende Wort, wenn es darum geht, wer im ORF was wird. Das gilt vom Generaldirektor bis hinunter zu Redakteuren.
Österreich gleicht dem Bild, das Eisenspäne angesichts eines Magneten bieten: Verrückt man den Magneten von rechts nach links oder von links nach rechts, orientieren sich wie von Geisterhand Tausende Eisenspäne um.
An einem praktischen Beispiel beobachten ließ sich das kürzlich in Salzburg. Nach ihrem Regierungseintritt standen den Grünen plötzlich eine Reihe von Aufsichtsratssitzen zu, die zuvor von den Wahlverlierern besetzt wa- ren. Über ihre Besetzung hatte also indirekt der Salzburger Wähler entschieden.
Das Gleiche geschieht in der Verwaltung. Ein Regierungswechsel in Wien löst in denMinisterien heftiges Sesselrücken aus. Wechselt das Ressort die politische Farbe, muss das gesamte Ministerkabinett – Dutzende Sekretäre und Referenten – gehen. Oft werden sogar die Chauffeure und Kriminalbeamten ausgetauscht.
Auch andere Beamte blicken der Wahl mit Spannung entgegen. Da der Bundespräsident in der Zeit vor der Wahl keine Ernennungen mehr unterzeichnet (damit kein Minister seinen Nachfolger präjudizieren kann), stehen nach der Wahl viele Personalentscheidungen in den Ressorts an. Und sie hängen stark vomWahlergebnis ab.
Am offensichtlichsten ist der Einfluss der Wahl auf das Parlament. Es geht um das Schicksal der Abgeordneten, ihrer Sekretäre und Mitarbeiter. Fliegt eine Partei aus dem Parlament, verliert sie die staatliche Förderung und muss Personal abbauen. Zieht eine Partei neu in den Nationalrat ein, winken Millionen, mit denen Personal aufgenommen werden kann.
Apropos Förderungen: Der Wähler entscheidet indirekt auch über das Schicksal Tausender Vereine mit, die von staatlichen Förderungen leben. Das betrifft Vereine für Soziales, Behinderte, Migranten, Jugendliche und vieles andere. Die Förderberichte mancher Ministerien sind dick wie Telefonbücher. Und die Minister haben die Tendenz, die Förderungen, die nicht selten sechs- bis siebenstellige Eurobeträge pro Jahr ausmachen, bevorzugt Vereinen der eigenen Partei zukommen zu
lassen. Vom Wahlergebnis hängt also das Wohl und Wehe zahlreicher Vereine ab.