Salzburger Nachrichten

Sie müssen sich in einer Männerdomä­ne behaupten

Dirigentin­nen haben es immer noch schwer. Marin Alsop, bald in Wien und Salzburg zu Gast, leitet als erste Frau die Last Night of the Proms

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LONDON (SN). „Orchester funktionie­ren besser, wenn ihnen ein Mann vorsteht“, hat Wasili Petrenko, der Chefdirige­nt des Liverpool Philharmon­ic Orchestra, kürzlich erklärt. Bei einem „hübschen jungen Mädchen am Pult“sieht er die Gefahr, dass „die Gedanken der Musiker abwan- konzert dirigieren: nerin Marin Alsop.

Um die Bedeutung dieses Ereignisse­s zu verstehen, muss man wissen, dass es sich bei der Last Night of the Proms um mehr als einen Musikabend handelt: Es ist die wohl britischst­e Form der britischen Hochkultur, eine Art

die Amerika- „Trooping the Colour“der Klassik. Im zweiten Teil schmettert das gesamte Publikum die Hymnen „Rule Britannia“und „Jerusalem“, während es gleichzeit­ig verzückt Nationalfl­aggen schwingt. „Alle hundert Jahre“, stellt die 56jährige Marin Alsop schmunzeln­d jetzt fest, „lässt man dabei einmal dern“. Frack, Fliege und schütteres Haar halten seiner Meinung nach bei Trillern und Triolen die „erotische Energie“in Schach.

Eine solche Aussage wäre zu jeder Zeit peinlich – jetzt ist sie es besonders, da bei den Proms, dem sommerlich­en Musikfesti­val in der Royal Albert Hall in London, gerade eine Revolution ansteht. Erstmals in der 118-jährigen Geschichte der Konzerte wird heute, Samstag, eine Frau das populäre und prestigetr­ächtige Abschluss- eine Frau ans Pult“. Sie ist es gewohnt, dass Orchesterl­eitung weiterhin hauptsächl­ich als Männersach­e gilt, sogar unter ihren jungen Kollegen, wie das Beispiel Petrenko zeigt.

Schon von ihrer Geigenlehr­erin hörte Alsop, dass „Dirigent“kein Mädchenber­uf sei. Ihre Eltern, beide Musiker, waren anderer Meinung und schenkten ihr eine Schachtel voller Taktstöcke. Ein Maestro erklärte ihr später herablasse­nd: „Frauen können Mozart, aber nicht Mahler dirigieren.“Sie habe nur gelacht. Heute leitet Marin Alsop als einzige Frau ein großes amerikanis­ches Orchester; sie steht seit 2007 dem Baltimore Symphonic Orchestra vor, ist zudem aber auch Gast großer Orchester in aller Welt und hat schon vor zehn Jahren in der Londoner Royal Albert Hall debütiert. Sie nun zur First Lady der Proms zu ernennen ist naheliegen­d.

Naheliegen­d, aber nicht selbstvers­tändlich. Denn obwohl die Zahl der Orchesterm­usikerinne­n stetig zunimmt, sind bis heute nur wenige wie Marin Alsop oder Hamburgs Generalmus­ikdirekto- rin Simone Young in den Rang der Spitzendir­igenten vorgestoße­n.

Sie müsse dieses Missverhäl­tnis gar nicht von sich aus thematisie­ren, sagt Marin Alsop: Im Falle der Proms sprächen die Fakten für sich: „Es ist fast absurd, dass man im Jahr 2013 noch immer Frauenprem­ieren erwähnen muss.“

Der 37-jährige Kollege Wasili Petrenko hat sich mittlerwei­le dafür entschuldi­gt, dass er in Dirigentin­nen „Playboy“-Häschen mit Taktstock sieht; er habe sich auf sein Heimatland Russland bezogen, gab er als Erklärung an.

Den Weg von Marin Alsop und Kolleginne­n aufzuhalte­n gelingt aber nicht. Demnächst wird die Dirigentin erstmals in Salzburg auftreten, eingeladen von der Salzburger Kulturvere­inigung, die auch eine Dirigentin, Elisabeth Fuchs, leitet. Am 16. und 18. Oktober wird Marin Alsop zur Eröffnung der Salzburger Kulturtage im Großen Festspielh­aus das Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo dirigieren. Solist ist der Pianist Nelson Freire. Schon am 15. Oktober wird sie im Wiener Konzerthau­s zu Gast sein.

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Erste Frau für die letzte Nacht der Proms: Marin Alsop.
Bild: SN/GRANT LEIGHTON berichtet für die SN aus London Erste Frau für die letzte Nacht der Proms: Marin Alsop.
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