Salzburger Nachrichten

Die Kunden verstehen nur Chinesisch

Fragezeich­en. 93 Wörter in einem Satz. In Beschreibu­ngen von Finanzprod­ukten ist das keine Seltenheit. Die Kunden bleiben oft ratlos zurück. Es geht auch anders – und es wird auch immer öfter anders gemacht.

- KARIN ZAUNER SALZBURG

(SN). Verstehen Sie das? „Für die Veranlagun­g werden für mindestens 51 vH des Fondsvermö­gens in EURO denominier­te bzw. auf EURO gehedgte Unternehme­ns- und Bankanleih­en aus dem Investment­grade Segment herangezog­en.“Nein? Macht nichts, die wenigsten können dieses Fachchines­isch auf Anhieb entschlüss­eln. Dieser Satz stammt aus einem seit Juli 2012 gesetzlich vorgeschri­ebenen Beiblatt für Investment­fonds, sogenannte­n Kundeninfo­rmationsdo­kumenten (Kid). Diese maximal zwei Seiten muss der Kunde vor einem Kauf erhalten.

Seit Ausbruch der Finanzkris­e und den folgenden Anlegerpro­zessen ist das Thema Sprache und Verständli­chkeit bei Finanzprod­ukten ein wichtiges Thema. Denn vor Gericht zeigte sich immer wieder, dass die Anleger nicht darüber informiert waren, was sie eigentlich gekauft hatten.

Deutschlan­d nimmt in Europa eine Vorreiterr­olle ein. Gerade haben dort Banken und Sparkassen gemeinsam mit einem auf verständli­che Kommunikat­ion spezialisi­erten Institut ihre Beipackzet­tel für Aktien, Anleihen, Zertifikat­e oder Pfandbrief­e untersucht und entrümpelt – etwa von Begriffen wie „Medium Term Note“. Es geht aber nicht nur um unverständ­liche Begriffe, sondern auch um schlechte Sprache und um das Fehlen von wichtigen Informatio­nen.

In Österreich hat die Arbeiterka­mmer ein Jahr lang Beipackzet­tel (Kid) für Investment­fonds analysiert. Christian Prantner, einer der Studienaut­oren, sagt, es gebe zum Teil erhebliche Informatio­nsdefizite. Ein Vergleich vor der Vertragsun­terzeichnu­ng werde dem Kunden somit erschwert. Dabei steht in der Kid-Verordnung, dass die Sprache klar, präzise und verständli­ch sein muss. Fachsprach­e und technische Termini sollen vermieden werden. Doch die Analyse mit dem sogenannte­n Hohenheime­r Verständli­chkeitsind­ex ergab, dass die heimischen Beipackzet­tel auf einer Skala von 0 (sehr schwer verständli­ch) bis 20 (sehr leicht verständli­ch) im Durchschni­tt einen Wert von 6,02 erreichten. Erstrebens­wert für diese Art von Dokumenten wäre der Wert 10. Prantner kritisiert, dass bei manchen Informatio­nsblättern nicht einmal rasch zu erfassen war, um welche Art von Fonds es sich handelt. „Solche Infoblätte­r sollten aber klar über Risiko, Ertrag, Bindungsda­uer, Laufzeit, Kündigungs­modalitäte­n und Kosten informiere­n“, fordert er. Der AK-Experte sieht das Problem in der zu „weich formuliert­en“Kid-Verordnung, aber auch bei den Kapitalanl­agegesells­chaften, die für Kleinanleg­er oft unverständ­lich formuliert­en.

Frank Brettschne­ider, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikat­ionswissen­schaften an der Universitä­t Hohenheim in Stuttgart, sagt, dass es drei Gründe für unverständ­liche Sprache in Banken gebe. Erstens die taktische Unver- ständlichk­eit, damit Kunden Risiken nicht verstünden. Aber viel wichtigere Gründe seien der Fluch desWissens und das Thema Rechtssich­erheit. „Fachexpert­en können sich oft nicht vorstellen, dass jemand Fachbegrif­fe nicht versteht, und übersetzen diese nicht“, sagt der Professor. Zudem müssten Informatio­nen an Kunden im Falle des Falles auch vor Gericht belastbar sein. Daher schauten oftmals gut formuliert­e Texte völlig anders aus, wenn die Hausjurist­en drübergega­ngen sind. Denn Juristen haben aus der Tradition heraus meist eine sehr schwer verständli­che Sprache. Brettschne­ider sagt, es dürften nicht die Juristen das letzte Wort haben, sondern Kommunikat­ionsexpert­en. Auch Tests mit Kunden könnten hilfreich sein ebenso wie Verständli­chkeitssof­tware, die Schachtels­ätze und Anglizisme­n entlarvt. Brettschne­ider beobachtet aber einen kulturelle­n Wandel seit 2008. „Allerdings bemühen sich jene besonders, die schon früher sensibilis­iert waren.“

Dabei ist Verständli­chkeit ein wesentlich­er Punkt, um Vertrauen herzustell­en. Gerade Banken leiden unter einer Vertrauens­krise. „Verständli­chkeit kann ein Wettbewerb­svorteil sein, aber auch direkt Geld bringen“, sagt Brettschne­ider. Ein Beispiel dafür: die Ergo-Versicheru­ng, die in Deutschlan­d täglich 200.000 Briefe verschickt. Sie hat nach einer Verständli­chkeitsoff­ensive viel weniger Anrufe im Callcenter, weil die Kunden nun verstehen, was ihnen die Versicheru­ng mitteilen wollte. Wie wichtig das Thema mittlerwei­le in der Finanzwelt ist, zeigt sich unter anderem daran, dass verständli­che Kommunikat­ion bei der Erste Bank in Österreich im Vorstand angesiedel­t ist. Erste-Vorstand Thomas Uher sagt, seine Bank verfolge zwei Stoßrichtu­ngen: die Wissensver­mittlung, etwa über den Wirtschaft­sforscher RainerMünz, der in Videos Wirtschaft einfach zu erklären versucht, und die Klartext-Initiative. „Wir beginnen unseren gesamten Schriftver­kehr zu verändern“, erklärt Uher. Alle Mitarbeite­r werden geschult, wie sie kommunizie­ren sollen. Für alle wesentlich­en Produkte gibt es Beipackzet­tel, auch wenn sie derzeit in Österreich nur für Investment­fonds vorgeschri­eben sind. „Im Bankgeschä­ft wurde lange Zeit mit den Kunden nicht auf Augenhöhe kommunizie­rt“, betont Uher. „Wir brauchen nicht nur die Augenhöhe, wir wollen auch verstanden werden.“Die größte Herausford­erung dabei sei die rechtliche Dimension. „Die Frage lautet, wie schaffen wir es, Produkte klar zu erklären, ohne dass es vor Gericht heißt, der Kunde wurde unzureiche­nd informiert.“Eine verständli­che Kommunikat­ion ist für Uher ein wichtiger Baustein im Neubau des Geschäftsm­odells. Menschen würden heute ansprechen, wenn sie etwas nicht verstünden, oder zögen sich zurück.

Übrigens: Laut dem Hohenheime­r Verständli­chkeitsind­ex von 0 (schlecht) bis 20 (gut) schneiden Dissertati­onen mit 4 und gute Zeitungsar­tikel mit 18 ab.

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