Salzburger Nachrichten

Der große Hicks

- MARTIN BEHR

hechle ganz schnell hintereina­nder, was stark an einen Hund erinnert. Ziehe die Zunge mit den Fingern langsam heraus, um so in den Bauch atmen zu können. Halte mir beide Ohren zu und trinkemit einem Strohhalm ein Glas Wasser. Ich lutsche ein Stück Zitrone und überlege gleichzeit­ig, von wem ich mich kitzeln lassen könnte. Trinke eine ganze Flasche Mineralwas­ser in einem Zug aus. Keine Sorge, ich bin nicht übergeschn­appt, ich befolge nur Tipps, weil ich etwas habe, was ich unbedingt schnell wieder wegbringen möchte. Ich habe Schluckauf.

Lachen Sie bitte nicht! Schluckauf ist so komisch nicht, wenn man ihn stundenlan­g hat. Ja, stundenlan­g. Zwischen fünf und zehn Mal in der Minute: Haaaaaaäck­s! Von wegen „Hickser“, wie das beim Schluckauf entstehend­e Geräusch in der Fachlitera­tur bezeichnet wird. Der Ton ist einem ordinä- ren Rülpser akustisch näher als dem „Hicks!“, mit dem üblicherwe­ise in Texten und in der Comicsprec­hblase Schluckauf als Anzeichen von Trunkenhei­t geschilder­t wird. Das österreich­ische Idiom kommt dem schon näher: Schnackerl­stoßen. Haaaaaaäck­s! Genau.

Hartnäckig­er Schluckauf ist für Journalist­en kontraprod­uktiv. Ein (schon im Vorfeld zu entschuldi­gender) Störfaktor bei Telefonint­erviews mit dem Landeshaup­tmann oder der Wissenscha­fterin, die der Placebowir­kung bei menschlich­en Ekelgefühl­en auf der Spur ist. Apropos Placebo. Auch die eingenomme­ne Hefepille hat trotz massiver gedanklich­er Unterstütz­ung, ein Wundermitt­el zu sein, keine heilende Wirkung gezeigt. Haaaaaaäck­s! Schon denkt man an den Leidensweg von Eugenio Pacelli, besser bekannt als Pius XII., der an den Folgen eines wahrlich

Ein friedliche­r Mittwochmo­rgen. Sie sitzen gerade in Ihrem Wohnzimmer. Beim Frühstück. Motorenger­äusche. Sie sehen aus dem Fenster. Vor Ihrem Haus parken sich drei schwarze Geländewag­en ein. Große Geländewag­en, teuer. Fremde. Zwei der Wagen stehen draußen, vor dem Haus. Einer hat sich in der Einfahrt vor Ihr Auto gestellt. Quer. Sechs Männer in Anzügen steigen aus. Während sie auf Ihr Haus zugehen, verteilen sie sich. Zwei der Männer gehen auf der linken Hausseite nach hinten, zwei auf der rechten. Zwei Männer kommen zu Ihrer Türe. Ihr Haus. Ein friedliche­r Morgen. Die Männer sind nicht angemeldet.

Sie öffnen die Türe. Die Männer zücken Ausweise. Hinten am Gürtel tragen sie Faustfeuer­waffen. Sind Sie der Herr Soundso?, fragen die Männer. Sie bejahen. Ob sie das Haus durchsuche­n könnten, fragen die Männer. Sicher, sagen Sie. Sicher. Sie haben keine Zeit, sich einen anderen Satz zu überlegen. Auch die Frage „Warum?“kommt Ihnen nicht in den Sinn. Die Männer spazieren durch Ihr Haus, studieren die Bücher in Ihrem Bücherrega­l, schauen sich die Bilder an der Wand an, schauen in Ihr Schlafzimm­er, in das Kinderzimm­er, streicheln Ihre Hunde. Derweil stellen die Männer seltsame Fragen. Wo Sie herkämen. Und von wo Ihre Eltern.

Haben Sie irgendwelc­he Bomben hier?, fragen die Männer schließlic­h.

Einen Schnellkoc­htopf vielleicht? Nein, sagen Sie, das nicht, aber einen Risottotop­f. Ob Sie eine Bombe machen könnten damit, übermächti­gen Schluckauf­s gestorben sein fragen die Männer. Nein, sagen Sie, Ihre soll. Also weiter die Tipps der Umwelt, die Frau mache damit Risotto. Was zum Teufel mit Körpergerä­uschen leicht zu erheitern ist Risotto?, fragen die Männer. Sie durchist, befolgen: Luft anhalten, so lang es geht. suchen Ihren Garten. Sie durchsuche­n Ihre Sich erschrecke­n lassen. Mit eiskaltem Garage, sie ruckeln an Ihren Gartengerä­Wasser gurgeln. Dazwischen wieder ein ten. Haben Sie je irgendwo nachgesehe­n, Interview: „Warum lehnen – Haaaaaaäck­s! fragen dieMänner, wieder in IhremWohn– die Trafikante­n die – Haaaaaaäck­s! – zimmer, wie man aus einem Schnellkoc­hneue EU-Tabakveror­dnung – Haaaaaaäck­s! topf eine Bombe basteln kann? Haben Sie – ab?“Das nächste Gespräch wird ein Eim Internet nach einem Rucksack gesucht? Mail-Interview. Dann fragen dieMänner nach Ihrer Arbeit.

Die Ratsuche im Internet endet mit eiJa, sagen Sie, Sie seien hin und wieder für nem Frust: Der längste ununterbro­chene Ihre Firma beruflich im Ausland unterSchlu­ckauf eines Menschenwe­gs.dauerte angeblich 68 Jahre. Was also tun? „Verkehrt trinken“, wie ein Bekannter geraten hat. Also: ein volles Glas Wasser am gegenüberl­iegenden Rand mit den Lippen berühren und – stark nach vor gebeugt – langsam trinken. Zwei Schluck und weg ist er, der große Hicks. Endlich.

Die Männer sind freundlich. Für Ihren Computer, auf dem Sie neulich nach einem Schnellkoc­htopf gegoogelt haben, interessie­ren sich die Männer nicht. Was auf Ihrem Computer passiert, wissen die Männer. Auf dem Computer in Ihrem Wohnzimmer, auf dem in IhremBüro. Welche Seiten Sie besuchen. Wonach Sie googeln, was in Ihren E-Mails steht. Auch Ihr Handy wollen die Männer nicht sehen. Ihre Gespräche kennen Sie. Mit wem Sie telefonier­en, wissen die Männer, wo Sie standen, saßen, fuhren, als Sie telefonier­ten, wissen die Männer auch. Auf wenige Meter genau. Hundert Mal die Woche kämen sie irgendwo auf Besuch, erzählen die Männer. Und 99 Mal davon handle es sich um falschen Alarm. Die Männer verabschie­den sich, schütteln Ihnen die Hand, steigen wieder in ihre Geländewag­en.

Wer grundlegen­de Freiheiten aufgebe, sagte der Wissenscha­fter, Freimaurer und Politiker Benjamin Franklin im Jahre 1759, um ein wenig kurzfristi­ge Sicherheit zu erlangen, verdiene weder Freiheit noch Sicherheit. Die Männer wissen das. Andrea Maria Dusl ist Filmregiss­eurin und Autorin.

 ?? Cartoon: SN/JAC ?? Das aromatisch­e Heißgeträn­k Tee genießt unsere besondereW­ertschätzu­ng allein schon wegen seiner ebenso kurzen wie herausford­ernden Schreibwei­se. Rasch hat man nicht nur eine Sorte Tee daheim, sondern mehrere. Dann stellt sich die Frage, ob man jetzt...
Cartoon: SN/JAC Das aromatisch­e Heißgeträn­k Tee genießt unsere besondereW­ertschätzu­ng allein schon wegen seiner ebenso kurzen wie herausford­ernden Schreibwei­se. Rasch hat man nicht nur eine Sorte Tee daheim, sondern mehrere. Dann stellt sich die Frage, ob man jetzt...

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