Der große Hicks
hechle ganz schnell hintereinander, was stark an einen Hund erinnert. Ziehe die Zunge mit den Fingern langsam heraus, um so in den Bauch atmen zu können. Halte mir beide Ohren zu und trinkemit einem Strohhalm ein Glas Wasser. Ich lutsche ein Stück Zitrone und überlege gleichzeitig, von wem ich mich kitzeln lassen könnte. Trinke eine ganze Flasche Mineralwasser in einem Zug aus. Keine Sorge, ich bin nicht übergeschnappt, ich befolge nur Tipps, weil ich etwas habe, was ich unbedingt schnell wieder wegbringen möchte. Ich habe Schluckauf.
Lachen Sie bitte nicht! Schluckauf ist so komisch nicht, wenn man ihn stundenlang hat. Ja, stundenlang. Zwischen fünf und zehn Mal in der Minute: Haaaaaaäcks! Von wegen „Hickser“, wie das beim Schluckauf entstehende Geräusch in der Fachliteratur bezeichnet wird. Der Ton ist einem ordinä- ren Rülpser akustisch näher als dem „Hicks!“, mit dem üblicherweise in Texten und in der Comicsprechblase Schluckauf als Anzeichen von Trunkenheit geschildert wird. Das österreichische Idiom kommt dem schon näher: Schnackerlstoßen. Haaaaaaäcks! Genau.
Hartnäckiger Schluckauf ist für Journalisten kontraproduktiv. Ein (schon im Vorfeld zu entschuldigender) Störfaktor bei Telefoninterviews mit dem Landeshauptmann oder der Wissenschafterin, die der Placebowirkung bei menschlichen Ekelgefühlen auf der Spur ist. Apropos Placebo. Auch die eingenommene Hefepille hat trotz massiver gedanklicher Unterstützung, ein Wundermittel zu sein, keine heilende Wirkung gezeigt. Haaaaaaäcks! Schon denkt man an den Leidensweg von Eugenio Pacelli, besser bekannt als Pius XII., der an den Folgen eines wahrlich
Ein friedlicher Mittwochmorgen. Sie sitzen gerade in Ihrem Wohnzimmer. Beim Frühstück. Motorengeräusche. Sie sehen aus dem Fenster. Vor Ihrem Haus parken sich drei schwarze Geländewagen ein. Große Geländewagen, teuer. Fremde. Zwei der Wagen stehen draußen, vor dem Haus. Einer hat sich in der Einfahrt vor Ihr Auto gestellt. Quer. Sechs Männer in Anzügen steigen aus. Während sie auf Ihr Haus zugehen, verteilen sie sich. Zwei der Männer gehen auf der linken Hausseite nach hinten, zwei auf der rechten. Zwei Männer kommen zu Ihrer Türe. Ihr Haus. Ein friedlicher Morgen. Die Männer sind nicht angemeldet.
Sie öffnen die Türe. Die Männer zücken Ausweise. Hinten am Gürtel tragen sie Faustfeuerwaffen. Sind Sie der Herr Soundso?, fragen die Männer. Sie bejahen. Ob sie das Haus durchsuchen könnten, fragen die Männer. Sicher, sagen Sie. Sicher. Sie haben keine Zeit, sich einen anderen Satz zu überlegen. Auch die Frage „Warum?“kommt Ihnen nicht in den Sinn. Die Männer spazieren durch Ihr Haus, studieren die Bücher in Ihrem Bücherregal, schauen sich die Bilder an der Wand an, schauen in Ihr Schlafzimmer, in das Kinderzimmer, streicheln Ihre Hunde. Derweil stellen die Männer seltsame Fragen. Wo Sie herkämen. Und von wo Ihre Eltern.
Haben Sie irgendwelche Bomben hier?, fragen die Männer schließlich.
Einen Schnellkochtopf vielleicht? Nein, sagen Sie, das nicht, aber einen Risottotopf. Ob Sie eine Bombe machen könnten damit, übermächtigen Schluckaufs gestorben sein fragen die Männer. Nein, sagen Sie, Ihre soll. Also weiter die Tipps der Umwelt, die Frau mache damit Risotto. Was zum Teufel mit Körpergeräuschen leicht zu erheitern ist Risotto?, fragen die Männer. Sie durchist, befolgen: Luft anhalten, so lang es geht. suchen Ihren Garten. Sie durchsuchen Ihre Sich erschrecken lassen. Mit eiskaltem Garage, sie ruckeln an Ihren GartengeräWasser gurgeln. Dazwischen wieder ein ten. Haben Sie je irgendwo nachgesehen, Interview: „Warum lehnen – Haaaaaaäcks! fragen dieMänner, wieder in IhremWohn– die Trafikanten die – Haaaaaaäcks! – zimmer, wie man aus einem Schnellkochneue EU-Tabakverordnung – Haaaaaaäcks! topf eine Bombe basteln kann? Haben Sie – ab?“Das nächste Gespräch wird ein Eim Internet nach einem Rucksack gesucht? Mail-Interview. Dann fragen dieMänner nach Ihrer Arbeit.
Die Ratsuche im Internet endet mit eiJa, sagen Sie, Sie seien hin und wieder für nem Frust: Der längste ununterbrochene Ihre Firma beruflich im Ausland unterSchluckauf eines Menschenwegs.dauerte angeblich 68 Jahre. Was also tun? „Verkehrt trinken“, wie ein Bekannter geraten hat. Also: ein volles Glas Wasser am gegenüberliegenden Rand mit den Lippen berühren und – stark nach vor gebeugt – langsam trinken. Zwei Schluck und weg ist er, der große Hicks. Endlich.
Die Männer sind freundlich. Für Ihren Computer, auf dem Sie neulich nach einem Schnellkochtopf gegoogelt haben, interessieren sich die Männer nicht. Was auf Ihrem Computer passiert, wissen die Männer. Auf dem Computer in Ihrem Wohnzimmer, auf dem in IhremBüro. Welche Seiten Sie besuchen. Wonach Sie googeln, was in Ihren E-Mails steht. Auch Ihr Handy wollen die Männer nicht sehen. Ihre Gespräche kennen Sie. Mit wem Sie telefonieren, wissen die Männer, wo Sie standen, saßen, fuhren, als Sie telefonierten, wissen die Männer auch. Auf wenige Meter genau. Hundert Mal die Woche kämen sie irgendwo auf Besuch, erzählen die Männer. Und 99 Mal davon handle es sich um falschen Alarm. Die Männer verabschieden sich, schütteln Ihnen die Hand, steigen wieder in ihre Geländewagen.
Wer grundlegende Freiheiten aufgebe, sagte der Wissenschafter, Freimaurer und Politiker Benjamin Franklin im Jahre 1759, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdiene weder Freiheit noch Sicherheit. Die Männer wissen das. Andrea Maria Dusl ist Filmregisseurin und Autorin.