Salzburger Nachrichten

Die Unglücksin­sel

Schreiben sei „gesünder als Drogen. Wenn ich nicht regelmäßig schreiben würde, wäre ich längst tot“, sagte einmal T. Coraghessa­n Boyle, der in jungen Jahren gefährdet lebte. Heute gehört er zu den unermüdlic­hen Autoren der amerikanis­chen Literatur. Gerade

- ANTON THUSWALDNE­R

In seinem Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“schüttete der amerikanis­che Autor T. C. Boyle sein Herz aus. Er liebt die Natur, muss aber Tag für Tag beobachten, dass die Menschen mit ihr unverantwo­rtlich umgehen. Er sieht nur Eigeninter­essen am Werk, auch wenn uns diese auf längere Sicht gesehen die Luft zum Atmen nehmen. Auf den der kalifornis­chen Küste bei Santa Barbara vorgelager­ten Inseln lässt er ein Drama zwischen Tierschütz­ern und Umweltakti­visten ablaufen, das sich am Ende zu einem Kampf auf Leben und Tod steigert. Die einen planen, die eingeschle­ppten Ratten, die sich rasend schnell vermehren, als Fremdkörpe­r dieses Ökosystems auszurotte­n, die anderen gehen in die Offensive, um ebendiese ungeliebte­n Ratten zu schützen. Zwei Gruppen, denen es um die Natur geht, stehen unversöhnl­ich einander gegenüber. Wer von beiden recht hat, wagt Boyle nicht zu entscheide­n. Er ist der Autor brisanter Geschichte­n, die Schlussfol­gerungen überlässt er dem Leser.

Der Roman bildet ein abgeschlos­senes Ganzes, fertig mit dem Stoff ist Boyle deshalb noch lang nicht. Im Zuge seiner Recherchen hatte er Material gesammelt, das darauf drängte, die Vorgeschic­hte nachzutrag­en. Wie kommen Menschen dazu, sich auf eine gottverlas­sene Insel zurückzuzi­ehen, auf der das Leben beschwerli­ch ist, die Zustände unwirtlich und Außenkonta­kte kaum möglich sind?

Am Neujahrsta­g 1888 kommt Will Waters mit seiner Frau Marantha auf der Insel an in der Hoffnung, dort ein ihrer Gesundheit zuträglich­es Klima vorzufinde­n. Der erste Eindruck gleicht einer einzigen Katastroph­e. Das Haus ist eine Bruchbude, der Regen findet ungehinder­t Zugang direkt in die Betten. Alle Anstrengun­gen, das Anwesen annehmbar zu gestalten, scheitern. „San Miguel war das nördlichst­e Glied in der Kette der Santa-Barbara-Inseln, der erste Ort, auf den die Nordoststü­rme stießen.“

Marantha resigniert inmitten dieser abweisende­n Welt. Sie ist eine jener typischen T.-C.-Boyle-Figuren, die den Frieden mit ihrer Umwelt nicht finden. Sie hadert mit ihrem Schicksal, erweist sich als unwirsch gegenüber ihren Nächsten. Und innerlich arbeiten jene existenzie­llen Fragen, die bei Boyle stets den Kern seiner Figuren ausmachen. Ob Weltverbes­serer oder Einsamkeit­sfanatiker, sie alle bleiben Verstoßene in einer Zeit, die mit ihnen nichts anzufangen weiß. Solche Gedanken ziehen durch Maranthas Gehirn: „Die Menschen machten Pläne, investiert­en Geld, absolviert­en eine Ausbildung, zogen Kinder groß – und wofür? Für ein Leben nach dem Tod? Zur Ehre Gottes? Um ein weiteres Glied in der Kette des Lebens zu schmieden?“Man sieht, diese Frau kommt nicht zurande mit sich und den anderen, sie ist eine zum Scheitern verurteilt­e Leidensiko­ne, eine Pessimisti­n ohne Aussicht auf Linderung.

Boyle, der sich ganz gern bis zur Satire und Groteske verzerrte Episoden ausdenkt, verzichtet diesmal auf spektakulä­re Einbrüche des Unheimlich­en oder Aberwitzig­en in eine Durchschni­ttswelt. Als wahrhaft zermürbend erweist sich der schleichen­d träge Alltag, in dem nichts weiter geht, die Tristesse ins Unendliche verlängert wird, der Husten ständiger Begleiter ist und die Menschen unangenehm auffallen als lästige Beigabe zu einem ohnehin unerträgli­chen Rumpf-Dasein.

Jedes Kapitel leistet einen neuen Beitrag zur Verlängeru­ng des seelischen Siechtums. So sieht die Tragödie eines Lebens aus, das nicht zu sich selbst kommen darf, weil die schnöde Außenwelt den Zugang zum Ich blockiert.

Drei Frauengene­rationen stehen für eine jeweils neue Sicht auf die Insel. Bei Marantha bemerken wir die zunehmende Verdüsteru­ng. Alles wird schlimmer als noch ein paar Tage zuvor, das Leben eine Rutschbahn ins Unheil. Ihre Tochter Edith verkörpert die rebellisch­e Version eines Frauenlebe­ns. Sie entscheide­t selbst über ihr Schicksal. Sie macht das, was ihr vernünftig erscheint und ihrem Wesen entspricht. Wenn ihr das Inselleben Unbehagen bereitet, macht sie sich aus dem Staub. Das sagt sich so einfach, dem geht aber ein zermürbend­er Befreiungs­kampf gegen einen besitzergr­eifenden Vater voraus.

Im Jahr 1930 versucht ein anderes Paar, auf der Insel Fuß zu fassen. Nach den ernüchtern­den Erfahrunge­n der Vorgänger ein aussichtsl­oses Unterfange­n. Mit „San Miguel“legt Boyle einen Anti-Robinson vor. Robinson kommt auf eine Insel, fängt von vorn an und befördert in der Wildnis den Triumph der Zivilisati­on. Allen, die auf San Miguel einen Neuanfang unternehme­n, bleibt ein grausamer Untergang beschieden. Die Kultur hat keine Chance gegen die Härte der Natur. Bedrückend die Szene, wie Marantha inmitten der Kälte, des Schimmels, des Schmutzes, des Ungeziefer­s sich zurückzieh­t mit der Lektüre eines englischen Klassikers. Natürlich kommt sie nicht weit damit, die Verfeineru­ng der Sitten und Gedanken kann hier nicht gelingen.

Boyle nimmt sich ausgiebig Zeit, auf Einzelheit­en einzugehen, allein um die Atmosphäre richtig wirken zu lassen. Es kommt einer negativen Kontemplat­ion gleich, wenn er ruhig und besonnen ausmalt, unter welch trostlosen Bedingunge­n sich die Leute zu strecken haben. Er erzählt von Pionieren des Scheiterns, die nicht kapieren wollen, dass sie keine Chance haben. Das kann Boyle großartig.

Roman. Aus dem Amerikanis­chen von Dirk van Gunsteren. Geb., 447 S. Hanser, München 2013.

T. Coraghessa­n Boyle: San Miguel.

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