Enzian zählen als gute Tat
Bei Volunteering-projekten können Urlauber Ferien machen und sich für den Naturschutz einsetzen – Österreichische Naturund Nationalparks bieten eine andere Art von Urlaub an.
Einen Doktor der Biologie stellt man sich anders vor – der 41-jährige Gunther Gressmann ähnelt eher einem Serienmeister im Surfen: groß und durchtrainiert, mit langen dunkelblonden Haaren, sonnengebräunt und dem schönsten Lächeln Osttirols.
Im Nationalpark Hohe Tauern ist er für das Auerhahnprojekt zuständig, mit dem neuer Lebensraum für Europas größten Hühnervogel geschaffen werden soll. Der bis zu sechs Kilogramm schwere Bodenvogel hat es nicht leicht in unserer Zeit. „Der Auerhahn ist ein schlechter Flieger“, erklärt Gressmann. Gewagte Flugmanöver sind nichts für ihn – muss er vor Füchsen oder Mardern flüchten, geht es für ihn meist geradeaus. Und da beginnt für den schwerfälligen Vogel mit seinen fast eineinhalb Metern Spannweite das Dilemma. Die heutigen Industriewälder sind zu dicht be- pflanzt. Einfach davonzufliegen ist nicht mehr so einfach. Und so muss der Auerhahn zu Fuß vor seinen Verfolgern flüchten. Eine solche Flucht endet aber meist schon nach wenigenMetern – mit unerfreulichem Ausgang für den Vogel. Genau hier setzt Gressmanns Auerhahnprojekt an. Flugschneisen schaffen, lautet das Rettungsprogramm. Die Wälder werden dabei so ausgedünnt, dass die schweren Vögel wieder genügend Platz haben und im Notfall ihren Feinden davonfliegen können.
Josef Berger wirft die Motorsäge an. Der Waldarbeiter aus Matrei in Osttirol dünnt den Wald auch so aus, dass besagte Flugschneisen entstehen. Allerdings wird nicht nach Herzenslust gefällt. „Wir achten schon darauf, dass wir nur Bäume umsägen, die ohnehin krank sind“, beruhigt er. Die Bäume zu fällen reicht aber nicht aus, um geeigneten Lebensraum für Auerwild zu schaffen. Blieben sie nämlich im Wald liegen, wäre das Durchkommen für den Auerhahn, der ja hauptsächlich zu Fuß unterwegs ist, schwierig. Hier kommen die Freiwilligen ins Spiel. Sie säubern denWaldboden von Zweigen, Ästen und Stämmen und ermöglichen dem Auerhahn so freien Durchmarsch. Marcus van Laer ist einer der „Volunteers“. Der Belgier urlaubt seit 30 Jahren in Matrei. Vom Auerhahnprojekt hat er durch Zufall gehört. Weil er seinen Ferienort fast als eine Art zweite Heimat sieht, hat er sich entschlossen, einmal einen anderen Urlaub zu buchen. „Die Leute sollten nicht so viel ans Geld denken, sondern auch einmal helfen“, sagt er. Verschwitzt wirft er Äste zur Seite, die andere Freiwillige dann zu einem Haufen aufschichten. In Obergurgl helfen Urlauber nicht dem Auerhahn, sondern dem Enzian.
Roland Meyer kennt sie alle: Es gibt kaum eine Pflanze des Alpenraums, die der 41-jährige Botaniker aus Innsbruck nicht benennen kann. Ob Leimkraut oder Alpenrose, Weißer Germer oder Blaugrüner Steinbrech – Meyer kennt zu jeder Pflanze eine Geschichte. In Obergurgl im Ötztal wandert eine kleine Gruppe Freiwilliger durchs Gebirge, ausgerüstet mit GPS, einem Pflanzenbestimmungsbuch und Formblättern, in die der Standort der gefundenen Pflanzen eingetragen wird. Sie wollen Enziane zählen. „Um Bergpflanzen schützen zu können, muss man wissen, wo genau sie wachsen“, sagtMeyer. Für solche Standortstudien fehlt aber normalerweise das Geld, und deswegen sind Touristen willkommene Helfer. Die Volunteers werden aber nicht als Arbeitskräfte eingespannt, sondern bekommen von Meyer eine Art kostenlosen Kurs über die Pflanzenwelt der Berge. Er zeigt den Teilnehmern nicht nur, wie man den Bayerischen vom Schneeenzian und den Kurzblatt- vom Kreuzenzian unterscheidet, sondern beantwortet jede nur erdenkliche Frage über die Alpenflora. „Den Enzian haben wir für das Touristenprojekt bewusst ausgewählt“, sagt Meyer. „Er kommt selten vor und steht unter Naturschutz. Aber er ist eben nicht so selten, dass man ihn gar nicht mehr findet.“Die Gäste sollen schließlich mit einem Erfolgserlebnis nach Hause fahren. Und wenn jemand doch keinen Enzian auf den Bergwiesen finden sollte, reicht ein Blick in die Geldbörse. Dort landet immer wieder mal einer. Auf der österreichischen Ein-CentMünze ist die Pflanze nämlich abgebildet.