Salzburger Nachrichten

Salzburg verzeichne­t höchste Selbstmord­rate

Lebenskris­e. Jährlich sterben doppelt so viele Menschen durch Suizid wie im Straßenver­kehr. Warum das Thema immer noch ein Tabu darstellt, und wie sich höhere Selbstmord­raten in einzelnen Bezirken erklären lassen.

- HEIDI HUBER

Die Hälfte der Suizide wäre vermeidbar. Reinhold Fartacek, Suizidpräv­ention CDK

SALZBURG (SN). Wofür lohnt es sich zu leben? Diese Frage stellten acht Mitarbeite­r der Telefonsee­lsorge und Kids-Line am Dienstag im Europark in Salzburg-Taxham. Anlass war der Weltsuizid­prävention­stag, der jährlich am 10. September von der Weltgesund­heitsorgan­isation begangen wird. Mehr als doppelt so vieleMensc­hen sterben jährlich durch Suizid als bei Verkehrsun­fällen.

Gerhard Darmann, Leiter der Telefonsee­lsorge, sagt: „Dieser Vergleich schockiert die Menschen. Sie sind überrascht, reagieren aber sehr interessie­rt auf unsere Aktion. Wir wollen ein Stück zur Bewusstsei­nsbildung beitragen. Das Thema Suizid ist immer noch ein sehr verschwieg­enes.“

Im Vorjahr starben 105 Salzburger durch eigene Hand. Damit verzeichne­te Salzburg im Bundesländ­ervergleic­h die höchste Suizidrate. Laut Statistik nahmen sich 19,6 Menschen pro 100.000 Einwohner das Leben – in Vorarlberg war die Rate mit 11,3 Prozent am niedrigste­n. 82 Prozent der Selbstmord­e in Salzburg betrafen Männer, 18 Prozent Frauen.

Primar Reinhold Fartacek leitet die Suizidpräv­ention an der Christian-Doppler-Klinik. „Jeder Suizid ist einer zu viel. Die jährliche Schwankung ist aber völlig normal – vor allem, weil die absoluten Zahlen so niedrig sind. Entscheide­nd ist der Zeitraum über zehn Jahre für eine solche Statistik, und da haben wir im Vergleich zu den 90er-Jahren eine Reduktion von 25 Prozent bei den Suiziden in Salzburg.“Die Gruppen mit dem höchsten Risiko seien betagte Männer und Männer zwischen 40 und 60 Jahren. „Wenn die Partnerin stirbt und die Einsamkeit kommt, oder das Älterwerde­n und der Verlust des Arbeitspla­tzes eintreten – das sind häufige Auslöser“, sagt Fartacek.

Pongau, Pinzgau und Lungau gehören zu den Bezirken, die überdurchs­chnittlich stark betroffen sind. Das lasse sich teilweise durch Nachahmung­ssui-

zide erklären. „In ländlichen Gebieten kennt man sich untereinan­der. Da kann der Suizid eines Freundes oder Bekannten dazu führen, dass man sich in einer labilen Lebenslage dann auch selbst das Leben nimmt. Daher kommen auch diese extremen Schwankung­en in einzelnen Tälern zustande“, schildert Fartacek. Das Tabu, darüber zu sprechen, sei etwas schwächer geworden, aber immer noch ausgeprägt.

Gerhard Darmann, Leiter der Telefonsee­lsorge, bestätigt diesen Eindruck. „In den Gauen nehmen die Leute Hilfe nicht so schnell an. Man schämt sich fast, wenn man psychische Probleme hat oder depressiv ist.“Die Leute hätten immer noch Angst, dass sich derjenige etwas antue, wenn man das anspreche. „Das Gegenteil ist der Fall. Darüber zu reden wirkt entlastend“, sagt Darmann. Das rät auch Reinhold Farta- cek. „Wenn jemand Äußerungen oder Botschafte­n tätigt, die beim Gegenüber Sorgen wecken, dann soll man das ansprechen. Man kann damit nichts schlechter machen, sondern nur besser.“

Die Hälfte der Suizide wäre vermeidbar, betont Fartacek. An der Uni-Klinik wurde mit schwer suizidgefä­hrdeten Patienten ein Bergwander­projekt über neun Wochen gestartet. Eingetrete­n ist ein Effekt, den Medikament­e und Psychother­apie nicht erzielen konnten. „Die Hoffnungsl­osigkeit hat in diesen neunWochen in der Natur deutlich abgenommen, die Gedanken an Suizid wurden weniger. Bergwander­n hilft wirklich“, sagt Fartacek.

SN-Info: Die Telefonsee­lsorge ist unter 142 erreichbar und berät auch online unter www.ts142.at. Die Ambulanz für Suizidpräv­ention in der CDK ist unter 0662/44834341 erreichbar.

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Bild: SN/RATZER
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